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0559 - Kapitän Sensenmann

0559 - Kapitän Sensenmann

Titel: 0559 - Kapitän Sensenmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jason Dark
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wollte, spürte auch sie die drückende Spannung, die zwischen den vier Wänden lag. Die Atmosphäre war eine andere geworden. Sie hatte sich regelrecht aufgeladen.
    Der alte Ofen in der Ecke verbreitete eine zu große Hitze. Gayle fühlte sich plötzlich unwohl. Obwohl sie nicht an die Worte ihrer Mutter glaubte, überkam sie dennoch der Eindruck, daß gleich – um Mitternacht – etwas Fürchterliches geschehen würde.
    Von einem Augenblick zum anderen schlief der Sturm ein. Völlig übergangslos und überraschend.
    Noch wenige Sekunden bis Mitternacht.
    Mutter und Tochter schauten sich an. In Harriet Bowmans Augen schimmerten Tränen. »Er wird kommen«, flüsterte sie. »Ich bin fest davon überzeugt, daß er kommen wird. Es gibt keinen anderen Weg, glaub mir.«
    »Okay, Mutter.« Gayles Stimme klang heiser. Nervös fuhr sie mit der Zungenspitze über die Lippen. Sie wartete darauf, daß der Sturm wieder auftoste, es blieb ruhig.
    Die letzten Sekunden vertickten.
    Mitternacht!
    Harriet Bowman öffnete den Mund. Sie wollte noch einmal Luft holen, zu spät.
    In die Stille hinein klang das Pochen gegen die Tür überlaut. Dreimal schlug jemand von außen her mit einem Stock oder einem ähnlichen Gegenstand vor das Holz.
    Harriet Bowman erstarrte.
    Gayle bewegte nur ihre Hand, die kroch unter den Pullover und umfaßte den Griff des Revolvers. Selbst sie, die noch nicht an Käpt’n Sensenmann glauben wollte, spürte den leichten Schauer auf ihrem Rücken.
    Das letzte Echo verebbte.
    Stille…
    Nicht sehr lange, höchstens für die Dauer von zwei, drei Atemzügen. Dann flog die Tür von einem wuchtigen Stoß getreten, nach innen. Sie schwang zurück und hämmerte noch gegen die Wand, wo sie zur Ruhe kam.
    In der offenen Tür aber stand er – Käpt’n Sensenmann!
    ***
    Harriet Bowman gab einen erstickt klingenden Laut von sich. Sie sah die Gestalt und spürte, wie ihre Knie allmählich weich wurden.
    Dann sank sie zurück, fiel auf die Stuhlkante und riß das Möbel durch den Druck um. Zusammen mit ihr fiel es zu Boden.
    Gayle hätte gern den Kopf gedreht, um nach ihrer Mutter zu schauen, es war ihr nicht möglich. Der schreckliche Anblick des unheimlichen Gastes nahm sie zu sehr gefangen.
    Harriet Bowman hatte einmal davon gesprochen, daß der Kapitän aussehen würde wie der Tod persönlich. Diese Beschreibung traf tatsächlich zu. Die Gestalt des Sensenmanns bestand fast nur aus bleichen, vom Meerwasser ausgewaschenen Knochen.
    Er war ein Skelett!
    Brustkorb, Schultern, Arme, der Kopf, das rechte Bein, ein einziger Knochenwirrwarr. Auf dem Schädel jedoch saß ein schwarzer Dreispitz, als wäre er dort festgeklebt worden. In der rechten Hand hielt die Gestalt einen Säbel. Die Spitze berührte den Boden. Es sah so aus, als wollte er sich darauf abstützen.
    Das linke Bein war vom Oberschenkel bis zum Knie hin als Knochen vorhanden. Im Gegensatz zu dem Rest. Vom Knie abwärts bildete eine Holzprothese die Stütze. Im Gegensatz zu den Knochen schimmerte sie hell- bis dunkelbraun.
    Das alles nahm Gayle mit einem Blick wahr. Sie akzeptierte es auch.
    Ein wenig lächerlich und gleichzeitig auch makaber fand sie den Vogel auf der rechten Schulter. Er hockte dort, als wäre dies sein angestammter Platz.
    Es war ein Papagei, dessen Gefieder schimmerte, als hätte man es in Blut getunkt. Der bleiche Schnabel wiederum paßte in seiner Farbe zu den Knochen. Er hing weit über, vergleichbar mit einer übergroßen Nase. Das Tier hatte sein Gefieder aufgeplustert. So hockte er auf den blanken Schulterknochen und bewegte sich nicht. Er stand ebenso still wie der Knochenmann selbst.
    Nur aus der Ferne war das Rauschen der Brandung zu vernehmen, wenn sie gegen die Klippen schlug.
    »Verdammt!« keuchte, Gayle, »was willst du? Woher kommt du?«
    Sie kam sich bei dieser Frage selbst dumm vor, aber ihr war einfach nichts anderes eingefallen.
    Eine Antwort bekam sie nicht. Der Sensenmann starrte sie an, obwohl man bei seinen leeren Augenhöhlen davon eigentlich nicht sprechen konnte. In der Legende hieß es, das wußte Gayle von ihrer Mutter, daß sich der Käpt’n nur junge Frauen holte und sie verschleppte.
    Für Gayle stand längst fest, daß sie das nächste Opfer dieser Gestalt sein sollte.
    »Aber nicht mit mir!« flüsterte sie und dachte daran, was sie ihrer Mutter vorher demonstriert hatte. Der erste Schock war verflogen, zurück blieb eine gewisse Furcht, aber auch die mußte sie überwinden. Abermals schob sie sehr

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