0559 - Kapitän Sensenmann
Kind, wenn er ihm etwas zum achtenmal begreiflich machen wollte. »Sie haben keinen Beweis, Mrs. Bowman. Ohne Leiche steht nichts fest. Da müssen Sie schon…«
»Ich weiß, daß Gayle tot ist. Man entkommt ihm nicht. Sind nicht in den letzten beiden Jahren viele Frauen aus dieser Gegend verschwunden, Sir?«
Lester wiegte den Kopf. »Also das Wort viele möchte ich mal streichen. Ich gebe zu, daß einige Ungereimtheiten vorgekommen sind, aber viel ist…«
»Gayle hat es mir erzählt. Er hat sich die jungen oder jüngeren Frauen geholt.«
»Wer ist er?«
»Der Kapitän Sensenmann!«
»Wer – bitte?«
»Ein alter Pirat, der tot ist und trotzdem noch lebt, Sir. So sieht es aus.«
»Ach ja?« Lester zog die Lippen in die Breite und versuchte, so etwas wie ein Lächeln zu produzieren. So recht brachte er es nicht fertig. Aber er war bereit, sich die Geschichte der Harriet Bowman anzuhören, und die haute ihn fast um.
Seine Augen nahmen an Größe zu, er schwitzte auch und war froh, das Aufnahmegerät eingestellt zu haben, so konnte wenigstens jedes Wort dieser schier unglaublichen Story festgehalten werden.
Mrs. Bowman sprach mit tonlos klingender Stimme. Ihr Blick war glanzlos und zu Boden gerichtet. Manchmal hob sie auch die Schultern, als wollte sie sich selbst widersprechen, dann drang ein tiefer Atemzug aus ihrem Mund. Er leitete das Ende der Erzählung ein.
»Jetzt wissen Sie genau, was passiert ist, Sir.«
»Ich weiß nur, daß ich nichts weiß!« zitierte Lester einen griechischen Philosophen.
»Ich habe es Ihnen doch gesagt, Sir.«
»Das schon, Mrs. Bowman. Nur ist es schwer für mich, diese Gespenstergeschichten zu glauben. Wir befinden uns hier zwar in Bristol an der Küste, aber Sie kommen aus Cornwall, was ich nicht abwertend meine. Nur weiß ich auch, daß man sich in Cornwall viele Geistergeschichten erzählt. Ich meine, Ihre Tochter kam zu Ihnen…«
»Weil ich sie gebeten habe, Sir. Ich habe auch mit ihr sprechen können. Wir redeten über die verschwundenen Frauen und markierten die Orte, aus denen sie entführt wurden. Sie alle lagen direkt an der Küste. Von Bristol abwärts führte die Spur direkt nach Süden, bis sie die Provinz Cornwall erreichte. Ist das kein Hinweis?«
»Da haben Sie recht.«
»Na bitte.«
»Aber…« Der Chiefinspektor hob seine Hand und bekam einen starren Blick. »Damit ist nicht gesagt, daß dieser komische, wie hieß er noch gleich …?«
»Käpt’n Sensenmann.«
»Genau. Daß dieses Skelett sie entführt hat. Nein, Mrs. Bowman, bei aller Liebe, aber das kann ich einfach nicht glauben. So etwas gehört ins Reich der Fabel.«
»Für Sie vielleicht. Haben Sie eigentlich eine Spur der anderen Frauen entdeckt?«
»Nie.«
»Wie viele wurden entführt?«
»Zwölf.«
»Das stimmt nicht. Es sind dreizehn, wenn Sie meine Tochter mit hinzuzählen.«
»Wenn Sie das meinen, haben Sie recht.« Lester gab es etwas unwillig zu.
»Ich sage Ihnen, Sir.« Harriet Bowman erhob ihre Stimme. »Es werden auch nicht mehr werden. Die Zahl ist jetzt erreicht. Sie steht, wenn ich das so sagen darf.«
»Was macht Sie so sicher?«
»Weil dieser Pirat, der Käpt’n Sensenmann genannt wurde, eine Mannschaft besaß, die sich aus dreizehn Personen zusammensetzte. Und zwar aus Frauen. Er war der einzige Pirat, auf dessen Kaperschiff Frauen die Mannschaft bildeten. Geht Ihnen nun ein Licht auf?«
Trotz der ernsten Lage konnte sich der Chiefinspektor ein Lachen nicht verkneifen. »Das glauben Sie tatsächlich, Mrs. Bowman?«
»Ja.«
»Ich nicht.«
»Sie können es nachlesen. Käpt’n Sensenmann hat gelebt. Er machte damals, vor mehr als zweihundert Jahren, die Küste vor Cornwall unsicher. Seine Mannschaft setzte sich aus Frauen zusammen. Aus Flintenweibern, aus Verstoßenen, aus Hexen, was weiß ich nicht alles. Man hat ihn und seine Mannschaft schließlich gestoppt, aber man hat ihn nicht für alle Zeiten vernichten können. Er stand mit dem Teufel im Bunde und hat auch seine Mannschaft dazu gebracht. Das ist es, was ich Ihnen sagen wollte, und das müssen Sie mir glauben!«
Chiefinspektor Lester zog ein Gesicht, als hätte er puren Zitronensaft getrunken. »Und das soll ich Ihnen glauben, Mrs. Bowman?«
»Sie müssen es sogar.«
Der Polizist nickte, obwohl er das Gegenteil dachte. »Stellen Sie sich einmal vor, es stimmt tatsächlich. Was sollte ich dann Ihrer Meinung nach unternehmen?«
»Fragen Sie lieber, wie es weitergeht, Sir?«
»Und wie?«
»Käpt’n
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