056 - Zielort: Kratersee
suchen.
Ich würde mich selbst dort nicht suchen, dachte Stuart.
Der Junge schien seinen Entschluss zu spüren, denn er ergriff seine Hand und zog ihn auf eine Gasse zu. »Ist nicht weit«, betonte er.
Stuart ließ ihn gewähren und konzentrierte seine Aufmerksamkeit auf den Weg, den sie gingen. Die Öllampen, die in regelmäßigen Abständen an den Wänden angebracht waren, erleichterten die Orientierung, denn in ihrem Licht konnte man sich zumindest einige Tavernenschilder oder Wandbemalungen einprägen. Straßennamen suchte Stuart vergeblich, und es dauerte einen Moment, bis ihm klar wurde, dass die in einer Stadt voller Analphabeten nicht sonderlich sinnvoll gewesen wären.
»Wir sind da«, sagte der Junge und klopfte an die Tür eines mehrstöckigen Hauses, d ie prompt von einem hässlichen, dumm aussehenden Mann geöffnet wurde. Er drückte dem Jungen eine Kupfermünze in die Hand und versetzte ihm eine Ohrfeige.
»Das nächste Mal beeilst du dich ein bisschen!«
»Ja, Freed.«
Stuart sah dem Jungen nach und wandte sic h dann an Freed. »Sie, äh, müssen nicht, hm, grob zu ihm sein. Er war wirklich sehr, nun, äh, zuvorkommend.«
Er bemerkte die Keule in der Hand des Mannes und zog hastig eine Bax aus der Tasche. Freed betrachtete die Plastikkarte misstrauisch, winkte ihn dann herein und drückte ihm einen Krug mit einer scharf riechenden Flüssigkeit in die Hand. »Den Gang runter.«
Stuart kniff die Augen zusammen. Schon hier im Gang waren Lärm und Gestank fast unerträglich. Grölende Stimmen, männliche wie weibliche, brüllten Obszönitäten oder sangen sentimentale Balladen. Lautes Schnarchen, Stöhnen und Würgen mischte sich hinein.
Am ersten Eingangsloch blieb er stehen und hielt den Atem an, als er die Masse Leiber sah. Der Junge hatte nicht übertrieben; es waren mindestens hundert, die auf dem Bodenstroh lagen und schliefen. Weitere fünfzig saßen auf einer Holzbank, die sich an den Wänden entlang zog. Ein Seil war in Brusthöhe vor ihnen gespannt und verhinderte, dass sie im Schlaf auf die am Boden Liegenden fielen.
Stuart wagte sich erst in den Raum, als er Freeds Blicke im Rücken spürte. Vorsichtig kletterte er über die in Felle gehüllten Körper hinweg, konnte aber nicht verhindern, dass er im Halbdunkel ab und zu auf jemanden trat. Manche reagierten darauf nicht, andere grunzten nur, einer schlug in die Luft.
Nach etlichen »Tut mir Leid«, »Entschuldigung« und »War das Ihr… oh, schon gut« erreichte Stuart endlich einen freien Platz. Im Schneidersitz ließ er sich nieder, bemüht, möglichst nichts um ihn herum zu berühren.
Er stellte den Krug ab, legte die Hände auf die Knie und schloss die Augen. Stück für Stück drängte seine Meditation die Stimmen und den Gestank zurück, bis nur noch ein Gedanke in Jed Stuarts Bewusstsein stand:
Was für eine dämliche Idee.
***
»Was haben wir denn da?«
Mr. Hacker stand auf und ging zu einem der Computer, auf dessen Bildschirm etwas rot leuchtete. Die anderen Running Men sahen sichtlich interessiert zu, aber Merlin Roots wandte sich ab und strich Karyaala sanft über die langen grauen Haare. »Alles in Ordnung?«
Sie nickte. »Mach dir keine Sorgen, es geht mir gut.«
Trotzdem machte sich Roots Sorgen. Karyaala wirkte immer noch schwach und müde, obwohl sie behauptete, keine Probleme mehr zu haben. Tagelang hatte ein Wahnsinniger namens Smythe sie während der Überfahrt von Europa nach Amerika unter Drogen gesetzt, nachdem sie in Roots Auftrag seine Gedanken gelesen hatte. Daraufhin hatte Smythe das Schiff gekapert und schließlich sogar versucht, Karyaala umzubringen. [4] Roots hatte sie noch vor seinem Attentatsversuch ins Haus eines befreundeten Fellhändlers gebracht, wo man die körperlichen und geistigen Nachwirkungen dieser Tage zumindest lindern konnte.
Aber jetzt ging es Karyaala wieder gut… sagte sie.
Mr. Blacks Stimme brachte seine Gedanken zurück in die Gegenwart.
»Was bedeutet das?«, fragte er.
»Nun«, antwortete Mr. Hacker, »das ist einer der wenigen ID-Scanner, die ich aus dem Hauptquartier retten konnte. Wenn ich eine Verbindung zum Computersystem des Weltra ts herstellen könnte, ließe sich damit jede Person im Umkreis von hundert Metern identifizieren.«
»Aber wir haben keine Computerverbindung, wieso leuchtet also der Scanner?« Mr. Black strich sich über die kurzen hellbraunen Haare, und Roots bemerkte wieder einmal, dass er nicht nur wie Arnold Schwarzenegger, der letzte
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