0563 - Totensturm der Geisterfrau
geisterhafte Person hielt es auf dem alten Friedhof nicht mehr aus. Sie hatte ihren magischen Ritualtanz beendet und zog nun die Konsequenzen.
Ich weiß nicht, wie schnell sich ein Komet bewegt. Mit einer ähnlichen Geschwindigkeit, wie ich glaubte, verschwand auch die Person, die Manon de Valois geheißen hatte.
Der dunkle Himmel über dem großen Friedhof saugte sie auf, wie Löschpapier die Tinte.
Sie war und blieb verschwunden!
Ich atmete tief durch. Mein Kopf schmerzte. Ich mußte mich erst zurechtfinden und konnte schwerlich fassen, daß ich mich in der Realität befand.
Im Schein der Lampe untersuchte ich den weichen Untergrund des Grabs. Spuren entdeckte ich keine, nur meine eigenen.
Manon de Valois war aus der Tiefe gestiegen, ohne eine alte Ordnung zu zerstören.
Natürlich dachte ich über den Grund nach. Sie hatte nicht ohne Motiv das Grab verlassen. Etwas mußte sie geleitet haben. Irgendein Vorgang, über den ich nicht Bescheid wußte.
Meine Ankunft war es sicherlich nicht gewesen – oder doch? Ich war der Sohn des Lichts, besaß das Kreuz, das ich auf meine linke Handfläche legte, um es anzuschauen.
Es hatte sich nicht verändert. Kein Strahlen glitt über meine Hand.
Völlig normal und harmlos lag es vor mir.
Oder doch nicht?
Auch ich, ein alter Hase, wurde immer wieder durch neue, faszinierende Beobachtungen und Tatsachen überrascht. So war es an diesem späten Abend auf dem Cimetiere Montmartre ebenfalls.
Ich hatte das Kreuz schon verschwinden lassen wollen, als ich erkannte, daß sich trotzdem etwas tat. Wieder einmal dort, wo die Zeichen in der Mitte verschwunden waren und sich ein leerer Raum befand. Darin begann es zu knistern. Es war so, als würde aus der Tiefe des Metalls etwas in die Höhe steigen.
Ich vernahm kein Geräusch, dieses Knistern konnte man als eine optische Wahrnehmung bezeichnen, aber es verdichtete sich, und das glatte Metall bekam ein Bild.
Zunächst sah es aus, wie von sehr feinen und dünnen Pinselstrichen aufgetragen. Wenig später nahm es an Härte und auch an Tiefe zu, so daß ich das Motiv erkennen konnte.
Das Bild zeigte ein Gesicht.
Immer wenn ich es sah, kam es mir irgendwie alterslos vor, trotz des Knebelbartes, der Kinn, Mund und einen Teil der Wangen wie ein dünner Flaum bedeckte.
Es war ein Männergesicht, und es gehörte einem guten, alten Bekannten.
Hector de Valois, Manons Bruder!
***
Geschockt war ich nicht, nur aufgeregt. In meinem Innern spürte ich die freudige Überraschung, denn diese Person, die in mir wiedergeboren war, und die ich als geisterhafte Erscheinung in der Mitte des Kreuzes sah, wollte mir etwas mitteilen.
Vielleicht die Lösung?
Ich stand im Dunkeln, mein Mund verzog sich zu einem Lächeln, wobei ich hoffte, daß derjenige, der über die Zeiten hinweg entfernt war, es auch wahrnehmen würde.
Wir schauten uns an.
Ich bekam tatsächlich den realen Eindruck, als würden die Augen nur mich ansehen.
Schon hörte ich die Stimme. Nicht in meinen Ohren klingen. Nein, Hector de Valois nahm auf telepathischem Wege Kontakt mit mir auf und begrüßte mich nur sehr kurz.
»Dein Weg hat dich auf diesen Friedhof geführt, Geisterjäger, und es war der richtige.«
»Zum Grab deiner Schwester?«
»Ja, sie ist eine Teufelin. Eine gefährliche Dämonin, die leider noch existiert, weil sie Baphomet diente und er ihr die Kraft zum Überleben gab.«
»Sie hat sich lange nicht gemeldet…«
»Ich weiß, denn Baphomet war geschlagen. Vincent van Akkeren jedoch hat ihm zu einer neuen Geburt verholfen, was Manon ebenfalls nicht verborgen blieb. So hofft sie nun, die alten Zeiten wieder auftreten lassen zu können.«
»Wird sie es schaffen?«
Hector de Valois lachte leise. »Sie hat es schwer, sogar sehr schwer, denn es gibt Feinde.«
»Für sie?«
»Und für Baphomet. Du kennst ihn!«
»Asmodis.«
»Das ist es. Er will diesen Friedhof in Besitz nehmen und die Macht Baphomets, obwohl er nur ein Drittel des Gesamtbösen ist, in Grenzen halten. Er soll nicht so mächtig werden, und deshalb hat sich der Teufel einen wahnsinnigen Plan ausgedacht. Er möchte um diesen Friedhof einen Ring aus den Seelen der Getöteten legen. Dazu aber brauchte er einen Helfer…«
Ich lachte. »Das wird für ihn kein Problem sein.«
»Es war ein Problem, denn nicht irgendeiner mußte ihm die Seelen liefern, die eine Gewähr dafür abgaben, daß der Friedhof ihm später allein gehören würde.«
»Wer denn?«
»Hast du schon einmal vom siebten
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