0565 - Der Tod in seinen Augen
Straßen konnte er das Tempo steigern und wurde erst langsamer, als er nach Hammersmith einfuhr.
Dieser Ortsteil lag noch unter der neu jährlichen Ruhe. Nur wenige Menschen bewegten sich über die Gehsteige. Kirchenglocken läuteten und riefen die Gläubigen zum Gottesdienst. Eine friedliche Welt, und auch der Himmel hatte sich verändert.
Wie ein blaßblaues Tuch lag er über London.
Suko rollte an einer Mauer entlang, deren obere Hälfte ein Gitter bildete. Beides umfriedete das Grundstück, auf dem das Blindenheim inmitten eines kleinen Parks stand.
Der Inspektor freute sich, als er den Eingang offen fand. Die Hinweisschilder, nur im Schrittempo zu fahren, übersah er nicht. Er kroch über den Kiesweg tiefer in das Grundstück hinein.
Der verhältnismäßig schöne Neujahrstag hatte auch zahlreiche Patienten an die frische Luft gelockt. Sogar einige der aufgestellten Bänke waren besetzt.
Sämtliche Männer trugen dunkle Brillen. Sie hörten den Wagen nur und drehten die Köpfe, wenn er an ihnen vorbeirollte. Suko hatte einen kleinen Parkplatz neben dem wuchtigen Bau entdeckt. Er war nicht überrascht, als er John Sinclairs Rover dort fand. Den BMW parkte Suko daneben, schaute sicherheitshalber in den Dienstwagen hinein, fand ihn leer und wandte sich dem Eingang zu.
Eine Glastür schob sich auseinander, als Suko einen unsichtbaren Kontakt berührte.
Stille empfing ihn. Es hielt sich kein Patient in der Nähe auf.
Rechts befand sich eine nicht völlig geschlossene Loge, hinter der jedoch niemand saß.
Suko kam sich etwas deplaziert vor. Er stand inmitten der Halle und schaute sich um.
Ein Gang führte tiefer in das Gebäude und auch zu den Fahrstühlen, wie er auf einem Schild erkannte.
Auf dem Gang hörte er Schritte. Sie wurden vorsichtig gesetzt, es mußte einer der Patienten sein.
Ein Mann erschien in Sukos Sichtfeld. Er war hochgewachsen, hielt sich dabei sehr gerade und schwang bei jedem Schritt seinen weißen Stock von links nach rechts.
Suko räusperte sich, was der Blinde auch hörte. »Sie gehören nicht zu uns?« fragte er.
»Nein, ich bin ein Besucher.«
»Das dachte ich mir. Zu wem wollen Sie?« Zwei Schritte vor Suko blieb er stehen.
»Eigentlich zu keinem der Patienten hier. Mir geht es darum, einen Freund zu treffen, der sich ebenfalls als Besucher hier aufhält. Ich weiß, es klingt ein wenig kompliziert, aber es ist so.«
»Kenne ich den Mann?«
»John Sinclair heißt er.«
»Tut mir leid, Mister. Diesen Namen habe ich noch nie gehört. Sie sind sicher, daß er sich hier aufhält?«
»Absolut. Ich sah seinen Wagen vor dem Haus.«
»Dann fragen Sie am besten Miß Kate.«
»Wer ist das, bitte?«
»Kate Finley ist der gute Geist des Hauses. Sie unterstützt Jorge Tigana sehr intensiv. Wenn die beiden nicht wären, ginge es vielen von uns schlechter.«
»Danke für den Hinweis. Leider hält sich Miß Finley im Moment nicht hier in der Halle auf.«
»Sie wird schon kommen.« Der Blinde setzte sich wieder in Bewegung. Suko trat zur Seite, damit ihn der Mann passieren konnte. »Es ist so herrliches Wetter. Ich muß einfach nach draußen gehen und die frische Luft genießen.«
»Das meine ich auch.«
Suko schaute dem Mann nach, wie er durch den Eingang schritt und sich draußen nach rechts wandte.
Einen Namen wußte er jetzt. Kate Finley. Viel konnte er damit nicht anfangen. Solange sich die Dame nicht blicken ließ, stand er in der Halle und wußte nicht, was er noch unternehmen sollte. Und das lange Warten gefiel ihm überhaupt nicht.
Suko gab sich selbst fünf Minuten. Wenn bis dann nichts passiert war, wollte er sich auf den Weg machen und selbst nachschauen. Irgendwo mußte dieser Jorge Tigana schließlich sein Büro haben.
Er ging auf und ab wie ein unruhiger Geist. Hin und wieder schaute er in den Gang, ohne jedoch irgend jemand zu sehen. Draußen bewegten sich die Blinden in der frischen Luft. Einige hatten Gruppen gebildet und gingen gemeinsam.
Dann hörte Suko Schritte. Es waren vier Minuten vergangen. Er drehte sich um und sah eine Frau herbeieilen. Sie sah aus, als hätte sie etwas Aufregendes erlebt. Ihr Gesicht war rot angelaufen, sie atmete heftig und gab sich fast erschrocken, als sie Suko sah.
»Wer sind Sie denn?«
»Miß Finley?« fragte der Inspektor.
»Ja, ja…«
»Ich bin Inspektor Suko, Scotland Yard…«
Sie schluckte, senkte die Augen, starrte zu Boden und drehte sich zur Seite, um ihre Handtasche auf dem Rezeptionstisch abstellen zu
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