0567 - Barbaren in London
viele…«
Sie wollte etwas sagen, doch nur ein Fauchen drang über ihre Lippen, vermischt mit grünem Schaum, der vor ihrem Mund einen sprudelnden Bart bildete.
Sie fiel noch weiter nach vorn, als eine Tonfolge allmählich anschwoll und in Höhen hineinzirkulierte, die ihr körperliche und seelische Schmerzen bereiteten.
Noch hielt sie sich, aber der Hirsch schaffte es bald nicht mehr. Er schwankte, als würden ihn unsichtbare Peitschen foltern.
Sie riß sich zusammen und kämpfte noch einmal gegen die schrillen Töne an. Es klang wie ein schwieriges Gebet, als sie diejenige Person rief, die hinter ihr stand und sie vorgeschickt hatte, um Aibon ganz zu beherrschen.
»Lilith… du oberste Hexe, du erste Hure. Ich will, daß du mir hilfst. Bitte, hilf mir …«
Die Worte stockten. Sie hörten sich an, als hätte sich die Hexe zuletzt noch verschluckt. Die Hände waren bereits vom Geweih abgerutscht und hingen wie Pendel nach unten.
Der rote Ryan spielte weiter. Sein Gesicht blieb dabei unbewegt.
Nur die Finger tanzten über die Flöte hinweg, berührten die Löcher, ließen sie los und bewiesen durch ihre Bewegungen, daß auch eine Todesmelodie virtuos gespielt werden konnte.
Ein langgezogener, fast heulend klingender Laut verließ die Flöte und spielte Schicksal.
Margareta konnte sich nicht mehr auf dem Rücken halten. Sie kippte nach rechts weg, prallte hart zu Boden, wo sie mit dem Gesicht nach unten liegenblieb.
Gleichzeitig durchrann ein starkes Zittern den Körper des weißen Tieres.
Der Hirsch schleuderte den Kopf in die Höhe, als wollte er sein Geweih wegwerfen.
Zugleich brachen seine Augen. Mit den Vorderbeinen zuerst knickte er ein und blieb, als er zur linken Seite hin gefallen war, tot neben der Hexe liegen.
Sein Fell bekam eine andere Färbung. Über den Körper hinweg flog ein dunkelgrauer Schatten, der sich dort festsetzte, und immer mehr nachdunkelte.
Auch das mächtige Geweih verlor an Härte. Beim Zerbrechen zerknackte es mit derart starken Geräuschen, daß diese selbst das Spiel der Flöte übertönten.
Vielleicht waren es genau die Laute, die Margareta noch einmal mobil machten.
Sie schaffte es unter starken Qualen, sich wieder in die Höhe zu drücken und blieb in der Haltung wie ein schräggestelltes Brett.
Über die Flöte hinweg schaute der rote Ryan in das Gesicht der Widersacherin.
Es sah furchtbar aus. Die Haut war so gut wie nicht mehr vorhanden. In langen Streifen war sie nach unten abgerissen worden. Eine dichte, graugrüne Masse drückte von innen nach außen und zerstörte noch mehr die Haut.
Wieder bildete der Mund eine schaumige Blase, die gerade noch ein Wort formulieren konnte.
»Lilith…«
Ryan ließ seine Flöte sinken. Er spielte nicht mehr, dafür lachte er laut. »Was willst du mit ihr? Sie kann dir nicht helfen. Sie ist in ihrem Reich geblieben…«
Margareta rollte sich auf den Rücken. Ihre Hände legte sie flach auf den Boden, winkelte die Arme an und zog die Hände nach. Eine grüne Schleimspur blieb zurück.
Der rote Ryan führte wieder die Flöte an die Lippen. Diesmal intonierte er wiederum eine andere Melodie. Stoßweise wehten die Töne heran, mal laut, mal klagend.
Und wieder beherrschte ein magisches Phänomen die Szene. Als wären die Klänge sichtbar geworden, so baute sich plötzlich eine halbrunde Kuppel auf, die wie ein Dach die Hexe, den Hirsch und auch die zerstörten Dacs sowie den roten Ryan umfingen. Er hatte nichts dem Zufall überlassen und seinen Abgang genau geplant.
Das Dach, zunächst spärlich feuchtend, bekam einen regelrechten Farbschock. Derart intensiv konnte nur das Grün des Landes Aibon leuchten, das sich mit dieser kräftigen Farbe verabschieden wollte.
Noch einmal spielte Ryan. Er schaute nach links und wirkte wie jemand, der aus einer tiefen Trance erwacht. So ähnlich war es auch.
Er hatte sich nur mehr um seine Probleme gekümmert, nicht um die der anderen.
Ein unglaublicher Vorgang zeichnete das Bild der Straße. Eine Mischung aus Horror, Kampf und Überlebenswillen, bei der nur einer Sieger bleiben konnte.
Wie ein Wurfgeschoß raste ein Gegenstand quer über die Fahrbahn und direkt auf den magischen Schutzschirm zu, in den er explosionsartig hineinschmetterte…
***
In den Händen dieses gewaltigen Monstrums war John Sinclairs Leben keinen Cent mehr wert. Das wußte auch Suko, der diese Bestie ebenfalls kennengelernt hatte.
Sein Blick erfaßte noch etwas.
Dicht vor der Tür lagen zwei Dinge.
Zum
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