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057 - Das Gespensterschloß

057 - Das Gespensterschloß

Titel: 057 - Das Gespensterschloß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Randa
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die Rechnung ausgeglichen.“
    „Sind Sie irrsinnig?“
    „Was wissen Sie vom Irrsinn? Sind Sie nie auf den Gedanken gekommen, daß ein Irrsinniger ein von einem Toten bewohnter Lebender ist? Einem Toten, der sich nicht vorgesehen hat und dessen Streben von der Hülle, die er fand, enttäuscht wurde?“
    Amüsiert lächelt Jacques seine Frau an. Nun, so betrachtet ist die Sache sehr viel weniger beängstigend, zumal da Derais von dem, was er sagt, überzeugt zu sein scheint. Es waren die Gedanken eines Geisteskranken.
    „Ängstigen Sie sich nicht“, fährt Tristan fort, „der Tod hat nichts Erschreckendes, er ist ein Schlaf, und ich werde Ihnen nichts tun. Ich übe keinen Zwang auf Sie aus, ich warte. Sie werden freiwillig zu mir kommen, wenn Sie sich am Ende fühlen, denn Sie werden es nicht ertragen, zu leben, wo nichts mehr lebt. Es ist unmöglich, nicht wahr?“
    Jacques zuckt mit den Schultern.
    „Geben Sie uns einen Leuchter, wir gehen in die Küche und warten dort, bis es Tag wird.“
    „Nehmen Sie welchen Sie wollen. Übrigens, die Hunde können Ihnen nichts tun. Machen Sie sich auf die aussichtslose Suche, und dann kommen Sie zurück. Ich habe es nicht eilig, ich weiß, daß Sie wiederkommen werden. Und sollten Sie auch jahrelang umherirren, Sie werden immer wissen, wie Sie in mein Arbeitszimmer gelangen. Fortan gehören Sie mir.“
    Der Ingenieur erwidert nichts. Derais beeindruckt ihn trotz allem. Es ist ein sonderbares Gefühl, das er nicht zu analysieren vermag, und er spürt, daß das Böse jedenfalls nicht von Seiten des Schloßherrn kommen wird. Alles ist so unheimlich subtil – falls das Ganze nicht überhaupt Komödie oder Verrücktheit ist. Er ergreift einen Leuchter.
    „Komm, Simone.“
    Während sie zur Tür gehen, rührt sich Derais nicht.
    „Solange Sie ihrer bedürfen, werden die Kerzen Ihres Leuchters nie völlig herunterbrennen. Hier ist die Zeit nur eine Illusion. Was Sie auch tun mögen, die Sonne wird morgen aufgehen.“
    „Daran hege ich nicht den geringsten Zweifel.“
    Er nimmt seine Frau beim Arm, und sie gehen aus dem Zimmer. Nach wenigen Schritten erinnert sie das grausame Gelächter Derais’ daran, daß sie nicht mehr frei sind.
    Sie gehen, ohne miteinander zu reden – wozu auch? Was Derais ihnen eben gesagt hat, ist wahr, oder etwa nicht? Derais ist geisteskrank, oder aber … Die andere Lösung ist unmöglich. Man kann nicht unter den Toten leben, alle Merkmale des Lebens in dessen Gegenteil haben, es sei denn, der Tod ist nicht das Gegenteil des Lebens, sondern ein Übergangszustand.
     

     

Marthe hört alsbald auf zu laufen, sie bleibt stehen und entschließt sich sogar, umzukehren. Hinter ihr ist vollkommene Finsternis, obwohl doch der Schein des Leuchters, den Bernard auf den Boden gestellt hat, noch zu erkennen sein müßte.
    ,Ich bin wohl nach rechts oder links abgebogen, ohne es bemerkt zu haben.’
    Ihre Augen haben sich sofort an die Dunkelheit gewöhnt. Vage erkennt sie die Wände, vage, aber klar genug, um nicht anzustoßen. Was sie sieht, ist ohne Tiefe. Sie hat den Eindruck, als lichte sich das Dunkel vor ihr, um sich hinter ihr wieder zu verdichten, und sie fühlt sich eingeschlossen in ein Stück Flur, das mit weiter rückt.
    Wie dem auch sei, dieser Flur kann nicht so endlos sein, unmöglich. Für den Rückweg hat sie nun schon sehr viel mehr Zeit gebraucht als für den Herweg. Also muß sie den Flur beziehungsweise die Abzweigung verpaßt haben, die sie wieder zu Bernard führen würde. Aber Marthe weiß genau, daß es nach keiner Seite eine Abzweigung gab, keine einzige. Irrational, das ist das Wort, das ihr in den Sinn kommt. Sie hat das Gefühl, sich nicht verirrt zu haben, und zugleich, nirgendwohin zu gehen, als gäbe es kein zu erreichendes Ziel. Kein Ziel? Keine Lösung und keine Logik. Wonach sie sich sehnt, ist, einen Vorhang hochzuheben, ein Fenster zu öffnen und sich einen rauhen, kalten Wind ins Gesicht wehen zu lassen.
    Einem Impuls folgend, bleibt sie stehen. Zu ihrer Rechten hängt von der Decke in weichen Falten ein dunkler Samtvorhang herab. Sie geht auf ihn zu, hebt ihn ein Stück hoch. Dahinter verbirgt sich nicht, wie erwartet, ein Fenster, sondern eine hohe Glastür, deren Scheiben bereits eine fahle Tönung bekommen.
    Es beginnt zu tagen.
    Mit dem Tageslicht werden alle angestauten Ängste schwinden.
    Die Tür ist nicht abgeschlossen. Ihrem Druck gibt sie langsam nach. Marthe atmet freudig und erleichtert auf. Der Wind hat

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