057 - Das Gespensterschloß
geworden bin. Sind Sie mit Ihrem Gatten hier?“
„Und mit zwei Freunden. Ich bin Frau Riviere, mein Mann ist Ingenieur. Bernard Ligniere, ein Hochschulprofessor, und Marthe Duval, unsere ständige Reisegefährtin, begleiten uns.“
Tristan schenkt ihr ein. Aufs neue ist die junge Frau verblüfft über den altertümlichen Charakter ihrer ganzen Umgebung. Kein einziger moderner Gegenstand, und die ungewöhnliche Vollkommenheit dessen, was nur Nachahmung sein kann, wirkt letztlich beunruhigend.
Außerdem ist bisher ja noch nichts geklärt. In ihrer scheußlichen Situation war Tristans Auftauchen hochwillkommen. Doch jetzt, in der Stille dieses abgeschiedenen Raums, kehren ihre Befürchtungen in verstärktem Maß zurück. Immerhin liegt irgendwo im Schloß eine Tote, deren Sarg man unter ein Bett geschoben hat.
„Wer ist Djalli?“
„Meine Tochter.“
„Ihre Tochter? Und Sie meinen, daß sie es war, die ich im Sarg liegen sah?“
„War es eine junge Tote?“
„Ja.“
„Dann ist es nicht Albertine. Was ich nicht begreife, ist Gilberts Verhalten. Er hat nicht getan, was er hätte tun sollen.“
„Sehen Sie ihn tatsächlich nie? Das hat er uns nämlich gesagt.“
„Ja, es stimmt.“
„Warum?“
Lächelnd trinkt er ihr zu, und aufs neue überläuft sie ein Schauder. Wieviel Kälte, wieviel Bosheit liegt in seinem starren Blick!
„Trinken Sie“, sagt er, „und suchen Sie nicht zu verstehen, was Sie besser möglichst lange nicht wissen sollten.“
„Wie meinen Sie das?“
„Warten Sie, bis Ihr Gatte kommt, dann werde ich Ihnen erklären, welch großartiges Schicksal Ihnen bestimmt ist.“
„Uns? Aber wir werden doch alle im Morgengrauen Weiterreisen.“
„Es gibt Nächte, die nie enden.“
Simone steht auf. Wieder überkommt sie die Angst, eine andere diesmal, die Angst vor einer Drohung, die immer deutlicher wird. Es ist, als habe Tristan Derais eine Maske abgeworfen. Er lacht höhnisch
„Wenn Sie sich wieder auf das Abenteuer der Flure einlassen wollen – bitte!“
Nein, das wäre noch schlimmer, und hier hat sie wenigstens die Aussicht, Jacques wiederzufinden.
Derais ist verstummt, er leert sein Glas in kleinen Schlucken und starrt nachdenklich in die Richtung des Kamins. Er ähnelt seinem Bruder, ohne ihm zu gleichen, der Unterschied liegt im Gesichtsausdruck. Warum leben sie beide in dieser Kleidung und in diesem Rahmen aus einer anderen Zeit?
„Sie haben eine Vorliebe für das Altertümliche, Herr Derais?“
Er schaut auf. „Nein, nicht ausgesprochen. Das gehört zu den Dingen, die Sie noch nicht verstehen können. In ein paar Tagen wird alles modernisiert sein.“
„In ein paar Tagen? Weshalb haben Sie es vorher nie getan?“
„Dazu mußten Sie erst kommen, Sie oder irgend jemand, kurz, diejenigen, auf die wir gewartet haben. Schließlich und endlich erscheint immer jemand, der unseren Platz einnimmt.“
„Wie soll ich das verstehen?“
„Leben und Tod, ein ewiger Wechsel. Ah, da kommt Ihr Gatte!“
Woher weiß er das? Er muß ein Geräusch gehört haben, denn er lauscht angestrengt. Jedenfalls steht er auf, durchquert den Raum und öffnet die Flurtür.
„Würden Sie mir gefälligst erklären …“
Jacques Stimme bebt vor Entrüstung.
„Bitte, treten Sie ein. Diskutieren werden wir später. Ihre Frau ist hier.“
Jacques eilt ins Zimmer. Simone ist aufgesprungen und läuft ihm entgegen. Während sie einander umarmen, werden sie sich der Todesangst bewußt, die sie beide gepeinigt hat. Derais hat die Tür wieder geschlossen, aber zuvor sind die Hunde hereingekommen. Lautlos strecken sie sich vor dem Feuer aus.
„Haben die Doggen dich hergeführt?“
„Ja.“
Jacques wendet sich zu Derais um.
„Ich warte auf Erklärungen. Ich möchte wissen, warum Sie sich einen Spaß daraus machen, uns in dieser Alptraum-Atmosphäre leben zu lassen.“
„Sie tragen Ihren Alptraum in sich. Es sind all die Ängste, die sich in Ihrem Geist angestaut haben.“
Er lacht.
„Die Furcht vor dem Tod ist es, was Sie martert. Alles, was man nicht begreift, ist gewissermaßen der Tod.“
„Hören Sie auf mit Ihrem albernen Gerede.“
„Das ist kein Gerede.“
Unterdessen hat er sich an seinem Schreibtisch niedergelassen.
„Sie sind hierhergekommen, um es uns zu ermöglichen, wieder im Leben Fuß zu fassen. Das letzte mal lebte ich in der Biedermeierzeit. Es bedarf bestimmter Umstände … Sie werden unseren Platz im Tod einnehmen und wir den Ihrigen im Leben, so bleibt
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