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057 - Das Gespensterschloß

057 - Das Gespensterschloß

Titel: 057 - Das Gespensterschloß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Randa
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kommt. Der Lichtschein wächst und erfüllt plötzlich den Flur. Es ist ein Mann, groß und hager. Gilbert? Man könnte es meinen, aber Simone weiß bereits, daß nicht er es ist, sondern Tristan, der mysteriöse Bruder, dem man nicht begegnen darf.
    Die dunkle Gestalt hält ein paar Schritte vor ihr inne.
    „Wer ist da?“
    Es ist nicht Gilbert Derais, die Stimme klingt rauher, schärfer.
    „Hier … Rufen Sie die Hunde zurück!“
    Der Mann kommt näher. Er hat eine seltsame Ähnlichkeit mit seinem Bruder. Gleiche Kleidung, gleicher Spitzbart, aber Gilbert hat nicht diesen verkrampften, mißtrauischen Gesichtsausdruck.
    „Was machen Sie hier?“
    „Ich bin aus meinem Zimmer geflüchtet.“
    „Wer hat Sie ins Schloß eingelassen?“
    „Therese. Wir sind von … von Ihrem Bruder empfangen worden, glaube ich.“
    „Gilbert?“
    „Ja.“
    Er bricht in Gelächter aus. Ein schallendes Gelächter, das auf unheimliche Art im Flur widerhallt.
    „Und er ist es, der Sie in Angst versetzt hat?“
    „Nein. In unserem Zimmer … ich meine, in dem Zimmer, das er uns für die Nacht angewiesen hat, haben wir, mein Mann und ich, eine Leiche gefunden.“
    „Eine Leiche … so … Wo ist Ihr Zimmer?“
    „Ich weiß es nicht mehr.“
    Warum zögert er mit der Antwort, warum ist er nicht einmal verwundert? Es dauert mindestens eine volle Minute, bis er schließlich sagt: „Offenbar hat man Sie in Djallis Zimmer geführt. Ich habe sie noch nicht zu sehen bekommen. Was mich wundert, ist, daß Gilbert Sie empfangen konnte. Ich selbst bin eben erst wieder hierhergekommen, und für gewöhnlich bin ich als erster zur Stelle.“
    „Sie wohnen nicht im Schloß?“
    „Ich habe hier gewohnt, vor langer Zeit. Wünschen Sie, daß ich Sie wieder in Ihr Zimmer führe?“
    „Ach nein!“
    Bei diesem Gedanken überläuft Simone ein Schauder, aber sie setzt überstürzt hinzu: „Ich möchte wieder zu meinem Mann.“
    „Gut“, meint Tristan. „Ich habe selbst den Wunsch, ihn zu sehen, vielleicht mehr noch als Sie. Aber wir wollen lieber in meinem Arbeitszimmer auf ihn warten.“
    Er geht nicht voraus, wie Gilbert, sondern bietet ihr seinen Arm, und diese schlichte Geste beruhigt die junge Frau vollends. Allzu viel hat sie bisher befremdet, deshalb mißt sie der altmodischen Kleidung ihres Führers keine sonderliche Bedeutung mehr zu, und sie hat das Gefühl, daß alles sich ganz schnell aufklären wird – und auf harmlose Weise.
    Der Gang durch die Flure dauert nicht so lang wie der vorhergehende, die Hunde sind ihnen nicht gefolgt, und Tristan leuchtet ihr zuvorkommender, als sein Bruder es getan hatte.
     

     
    Er hält inne, öffnet eine Tür und tritt zurück, um Simone vorbeigehen zu lassen. Der Raum ist warm und anheimelnd. Er könnte ebenso wohl ein Arbeitszimmer wie eine Bibliothek sein. Die Wände verschwinden hinter Regalen, auf denen dichtgedrängt Bücher mit alten Einbänden stehen. Im riesigen Kamin brennt ein mächtiger Tannenklotz, der von geschickt verteiltem Knüppelholz gestützt wird.
    Vor der Feuerstätte stehen drei hochlehnige Sessel. Dicke Teppiche bedecken den Boden. Im Hintergrund, in der rechten Ecke, ein gewaltiger Schreibtisch mit Stapeln von Büchern und Dokumenten. Was Simone sofort auffällt, ist eine Gänsefeder, die in einem sehr großen Tintenfaß aus massivem Silber steckt.
    Tristan Derais schreibt doch nicht etwa mit einer Gänsefeder?
    Sie hat nicht die Zeit, ihre Verwunderung auszudrücken. Derais, der die Tür wieder geschlossen hat, geleitet sie zum Kamin und fordert sie auf, Platz zu nehmen.
    „Wenn Ihr Gatte Sie in den Fluren sucht, wird er bald zu uns stoßen. Die Hunde werden ihn hierher führen.“
    „Werden sie ihm nichts tun?“
    „Seien Sie unbesorgt.“
    „Warum bellen sie nie, Ihre Hunde?“
    „Das ist unnötig.“
    Er scheint plötzlich zu zögern, als wolle er eine Erläuterung hinzufügen, dann besinnt er sich eines anderen: „Möchten Sie etwas trinken?“
    „Ich gestehe, daß mir das guttun würde nach all den Aufregungen. Da Sie von unserer Ankunft im Schloß nichts wußten, müssen Sie überrascht gewesen sein, als Sie mich im Flur entdeckten.“
    „Nein.“
    Er holt ein rundes Tischchen und stellt es neben Simones Sessel, dann bringt er ein Tablett mit drei Gläsern aus feinstem venezianischen Kristall samt einer Karaffe.
    „Ich war keineswegs überrascht“, setzt er hinzu, „vielmehr darauf gefaßt, irgendeinem Besucher zu begegnen, da ich von Geräuschen wach

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