057 - Das Gespensterschloß
mir.“
Er ist ratlos. Es gibt nur eine einzige Lösung: durchhalten bis zum gnädigen Ende.
„Wohin führst du mich?“
„Zunächst ins Arbeitszimmer meines Vaters.“
„Tristan Derais?“
„Bist du ihm noch nicht begegnet?“
„Der andere Derais hat uns empfangen.“
„Um so besser.“
Sie machen sich auf den Weg durch die Flure. Der Verlauf ist ein anderer als bei Jacques und Simone. Djalli tut das Nötige, um ihren Liebhaber zu beschützen, sie sucht ihn nicht zu erschrecken, im Gegenteil. Bernard vernimmt nicht das Schreien und Stöhnen, das seine Freunde gepeinigt hat, und als die Hunde erscheinen, sagt sie beruhigend: „Kümmere dich nicht um die Doggen, sie sind harmlos.“
„Warum sind sie im Flur?“
„Sie suchen dich. Wäre ich nicht da, so würden sie dich führen.“
„Wohin?“
„Zur Kapelle.“
„Und dorthin soll ich nicht?“
„Nein, ich werde dir zeigen, was dort vorgeht.“
„Du gehst also hin?“
„Nicht unter den gleichen Verhältnissen … erst nachdem ich dich Wilhelm anvertraut habe. Er wird dich bei Sonnenaufgang zum Portal zurückbringen.“
„Und bis dahin?“
„Das wirst du schon sehen.“
Immer diese sibyllinische Ausdrucksweise. Sie hat ihn beim Arm genommen und drängt sich verliebt an ihn.
Die Ahnengalerie! Djalli öffnet die Tür zu Tristans Arbeitszimmer. Der Raum ist leer, das Feuer flackert noch im Kamin, vor ihm steht das Tischchen, auf dem Derais Simone mit Wein bewirtet hat; Karaffe und Gläser sind noch nicht weggeräumt.
Djalli lächelt seltsam.
„Deine Freunde sind hier gewesen.“
„Marthe?“
„Nein, die andern. Du denkst so viel an diese Marthe.“
„Du wirst doch nicht etwa eifersüchtig sein? Du hattest versprochen, mir zu helfen, meine Freunde aufzufinden. Werde ich sie denn überhaupt wiedersehen?“
Sie scheint plötzlich verstimmt zu sein. Zögernd sagt sie: „Ja, morgen abend.“
„Was geschieht mit ihnen?“
„Ich gebe dir mein Ehrenwort, daß sie nicht leiden werden.“
„Wird man sie umbringen?“
„Ich habe dir gesagt, daß du sie morgen lebend vorfinden wirst.“
„Warum erst morgen abend?“
„Es ist immer so.“
Sie füllt zwei Gläser und nimmt das von Simone für sich. Mechanisch streckt Bernard die Hand aus, um das seine zu ergreifen. Überdruß erfaßt ihn, er. ist es müde, dauernd an dieselbe Wand des Nichtwissens zu stoßen. Djalli hebt ihr Glas.
„Auf unsere Liebe!“
Nähme er sie völlig ernst, so wäre alles anders, aber er faßt ihr Verhalten noch immer als eine unmenschliche Komödie auf, deren heimlichen Zweck er nicht erkennt. So läßt er den Dingen ihren Lauf und leert sein Glas in einem einzigen Zug. Djalli stellt ihres ab und geht zum Kamin.
„Schau mir genau zu, denn du wirst meine Handgriffe wiederholen müssen. Im Lauf des morgigen Tages kommst du in diesen Raum zurück, allein. Er wird dir verändert vorkommen, aber achte nicht darauf. Du drückst zu gleicher Zeit auf den dritten Ziegelstein von oben, rechts vom Kamin, und auf den achten von unten, zur Linken.“
„Gut.“
„Schreib’s dir auf.“
Während er in seiner Tasche nach Notizbuch und Bleistift sucht, drückt sie auf die beiden Ziegelsteine und tritt zurück. Die Mauerfläche dreht sich um sich selbst und gibt eine Art Versteck frei, in dem ein großer, eisenbeschlagener Kasten steht.
„Hast du dir das Nötige notiert?“
„Ja.“
„Das ist der Familienschatz der Derais. Wir holen ihn morgen heraus, aber du wirst vor uns da sein.“ „Du willst, daß ich ihn stehle?“
„Ich schenke ihn dir, wenn du magst. Wir ergänzen ihn immer, denn auf unserem Weg ins Jenseits lernen wir Dinge kennen, die uns nützlich sein können. Aber wozu ihn an dich nehmen, da du ihn ja mit uns teilen wirst. Begnüge dich damit, den Kasten zu öffnen. Komm, hilf mir.“
Zusammen mit Bernard erfaßt sie einen schweren, eisernen Griff, und sie ziehen beide. Auf Rollen gleitend, kommt der Kasten aus der Höhlung.
„Er ist nicht verschlossen.“
Sie klappt den Deckel zurück. Der Kasten scheint mit Schmuckkästen in allen Größen und Formen gefüllt zu sein. Lässig öffnet Djalli einige Kästchen. Diamanten funkeln.
„Darunter“, sagt sie, „liegt auch Gold, viel Gold. Kümmere dich nicht darum, nimm nur dieses Kettchen.“
Behutsam läßt sie es durch die Finger gleiten. Ein Anhänger ist daran befestigt, ein Herz mit einer winzigen Perle in der Mitte. Das Mädchen drückt auf den Verschluß, und das Herz öffnet
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