057 - Im Banne des Unheimlichen
Er öffnete behutsam, trat ein, machte einen Schritt und blieb dann wie angewurzelt stehen.
Auf seinem Bett lag, die Augen halbgeschlossen, ein Mann in zerlumpten Arbeitskleidern.
Im ersten Augenblick erkannte Bill das abgemagerte, unrasierte Gesicht nicht, dann rief er aus:
»Mein Gott, Bullott, wo kommen Sie her?«
»Schließen Sie die Tür«, sagte Bullott mit schwacher Stimme, »und sperren Sie zu. Sie haben mich gestern nacht erwischt. Es war meine eigene Schuld. Ich hätte auf der Hut sein sollen, ich Narr aber bin auf Deck gegangen und von Laffin erkannt worden, worauf mir einer seiner Gesellen ein Messer zwischen die Rippen rannte, bevor ich nach meinem Revolver greifen konnte.« Er lächelte mühsam. »Wer bewohnt die Kabinen Ihnen gegenüber?« »Sir John und Lady Wilford. Ich habe mich erkundigt. Sie kamen in Southampton an Bord. Sir John ist kränklich, und seine Frau pflegt ihn.«
»Kamen sie je zu einer der gemeinsamen Mahlzeiten hinab?«
»Nein«, antwortete Bill, stutzig geworden. »Was soll die Frage? Wer sind sie?«
»Das werde ich Ihnen später sagen.«
Die Frage, woher der schwarze Handabdruck an der Tür stammte, war überflüssig: Bullotts Hände waren mit einer Schicht von Ruß und Öl überzogen.
»Sie haben wohl im Maschinenraum gearbeitet?«
»Ja, ich habe mich als Schmiergast betätigt«, sagte der Inspektor lakonisch. »Es ist keine besonders angenehme Beschäftigung. Hat sich etwas Neues ereignet?«
»Nichts anderes, als daß man uns auf einen fingierten Funkspruch hin alle Waffen abgenommen hat. Sie sind beim Zahlmeister hinterlegt.«
Bullott wälzte sich unruhig auf dem Bett hin und her, was ihm arge Schmerzen zu bereiten schien, denn er konnte ein Stöhnen nicht unterdrücken. Bill wollte den Arzt holen, aber der Verwundete wehrte sich dagegen.
»Es ist nur ein Schnitt - die Klinge ist an einer Rippe abgeglitten.«
Er zeigte die Wunde. Bill verband sie, so gut er konnte, dann fragte er:
»Jetzt, zum Teufel, erzählen Sie mir, was das alles heißen soll - warum hatten Sie sich verkrochen?«
»Ich verkroch mich in der Nacht, in der Sir John Wilford und seine Gattin von Bord gingen und ihre Plätze von Harvey Hale und Laffin eingenommen wurden. Ich sah das Motorschiff im Nebel. Wir überrannten es beinahe. Es legte sich in unser Kielwasser und kam ganz dicht unter Heck. Ich war wohl der einzige Uneingeweihte, der zusah, wie zwei Menschen sich über ein Tau hinabgleiten ließen und zwei andere heraufkamen. Eine Menge Zwischendeckpassagiere halfen ihnen dabei. Sie haben keine Ahnung, wie schnell das ging! Die beiden Neuen waren vor mir in meiner Kabine.«
»Und zufällig ließen sie etwas Gift ins Wasserglas fallen, das man für Sie hingestellt hatte.«
»Ich habe davon gehört«, sagte Bullott. »Ich verzog mich in den Maschinenraum, da ich es für klüger hielt, mich zu verstecken. Auch hoffte ich, daß die Durchsuchung des Schiffes, die mein Verschwinden auslösen würde, zur Entdeckung Laffins führen müßte. Wenn Sie mich fragen, warum ich ihn nicht gleich angegangen bin, kann ich darauf nur sagen, daß er eben nicht allein war. Haben Sie sich je die Zwischendeckpassagiere angesehen? Es sind mindestens achtzig Mann darunter, die zum Abschaum von Southampton gehören. Nicht einer von ihnen wird in die Vereinigten Staaten hineingelassen werden.«
»Weiß der Kapitän nichts davon?«
»Der Kapitän weiß alles, was ich weiß, aber er ist nicht der gleichen Meinung; Wir wußten eben nicht genug, als das Schiff auslief. Scotland Yard konnte nur eine allgemeine Warnung erlassen. Daran sind die Kapitäne gewöhnt, wenn ein Schiff eine große Summe Geld mitnimmt. Aber - wohin wollen Sie jetzt?«
Bill hatte sich erinnert, daß Betty ihn auf Deck erwartete, und wollte sie verständigen.
»Warten Sie!« Bullott hob warnend den Zeigefinger. »Sie dürfen niemandem sagen, daß ich hier bin. Die, die sich für mich interessieren, werden es bald genug herausbekommen.«
Bill ging zu Betty hinauf. Sie war nicht allein. Clive hatte sich in dem freien Stuhl an ihrer Seite niedergelassen. Obschon der Seegang etwas stärker geworden war, hatte sich Lowbridge doch aufs Deck geschleppt.
»An der Seekrankheit ist wirklich nichts Romantisches -«, stöhnte er, als Holbrook hinzukam, »ich spüre, daß selbst Benson mich verachtet.«
Benson stand mit einer Decke über dem Arm stramm und ungebrochen in der Nähe. Sein Gesicht verriet überhaupt nichts. Er war in jeder Hinsicht das
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