057 - Im Banne des Unheimlichen
muß ihnen etwas Warmes gebracht werden.«
Bill stieg hinauf und stellte das Tablett auf Deck ab. Der Nebel war so dicht, daß er weder die Brücke noch die Funkstation sehen konnte. Es war keine Zeit zu verlieren. Mit klammen Fingern goß er Kaffee und Milch ein, gab Zucker dazu und ließ schließlich aus dem Fläschchen, das er in der Tasche hatte, in jede der beiden gefüllten Tassen eine gehörige Portion des Betäubungsmittels fließen. Vorsichtig mit den Tassen balancierend, machte er sich auf den Weg zur Funkstation. Der Posten sah ihn kommen und rief ihn an.
»Der Kapitän schickt euch einen warmen Schluck!« gab Bill zurück.
»War auch höchste Zeit«, knurrte der Posten. »Die ist für den Funker?«
Er öffnete die Tür zur Station, und die in zahllose Lumpen gehüllte Gestalt des Funkers erschien im Türrahmen, um die Tasse entgegenzunehmen.
Bill wartete die Wirkung des Getränks auf die beiden nicht ab, sondern eilte mit seinem Tragbrett auf die Brücke und ins Kartenhaus. Die Brücke war voll von Leuten. Er hörte, wie Harvey Hale über den Wetterumschlag fluchte, und fing einige Brocken der Unterhaltung auf:
». nur ein Nebelstreifen. Wir sind noch mehr als fünfzig Meilen vom Treffpunkt entfernt, den wir mit der ›Inland‹ ...«
Sie waren also im Begriff, einen vorausbestimmten Punkt anzulaufen, um dort mit einem anderen Schiff zusammenzutreffen. Auf diesen Gedanken war Bill noch nicht gekommen. In diesem Augenblick ließ sich eine andere Stimme vernehmen:
»Wir werden ja doch auf sie warten müssen, glauben Sie nicht, Kapitän? Sie muß doch weit zurückgeblieben sein - keiner von diesen Tankdampfern läuft mehr als zehn Knoten.«
»Die ›Thomas Inland‹ macht gute fünfundzwanzig«, erwiderte Hale. »Sie ist von einer ganz neuen Art ...«
Hier wurde seine Stimme von anderen Geräuschen übertönt.
Die ›Thomas Inland‹!
Wo hatte er nur diesen Namen schon gehört? Auf einmal fiel ihm die am schwarzen Brett angeschlagene Funknachricht ein.
Mit dem gestohlenen Tankdampfer also hatte die ›Escorial‹ ein Zusammentreffen vereinbart! Daher verhielt sich die Bande an Bord so untätig. Doch würde das Tankschiff genug Öl an Bord führen, um der ›Escorial‹ das Anlaufen New Yorks zu ermöglichen? Da schoß ihm ein schrecklicher Gedanke durch den Kopf: Der Dampfer konnte die Bande und ihre Schätze nach einem sicheren Hafen befördern - was brauchten sie sich da noch um die ›Escorial‹ zu kümmern? Die würde man einfach dem Packeis und dem weißen Tod überlassen!
Er flog die Treppe hinunter, tastete sich durch den Nebel zur Funkstation und erkannte auf den ersten Blick, daß seine Medizin gewirkt hatte. Der Posten lag bewußtlos vor der Tür.
Bill zögerte keinen Augenblick - er zerrte den Mann bis zur Reling, schob ihn langsam darüber und ließ ihn in die dunkle Flut gleiten. Alles hing davon ab, daß er einige Minuten ungestört an den Apparaten arbeiten konnte. Hunderte von Menschenleben an Bord standen auf dem Spiel, da kam es nicht mehr auf das Leben eines Bösewichts an.
Auch der Funker lag regungslos über seinen Tisch hingestreckt. Bill schleppte ihn ebenfalls aufs Deck hinaus und ließ ihn ohne jede Gewissensregung über Bord gehen. Die Tassen und Löffel folgten. Gleich darauf saß er schon mit angelegtem Kopfhörer am Sender.
Während er mit steifgefrorenen Fingern am Schalter arbeitete und sein Rufzeichen durch den Äther jagte, schweiften seine Augen über die herumliegenden Papiere. Es waren Funksprüche der britischen Admiralität und des amerikanischen Flottenkommandos, die allen Schiffen auftrugen, nach der ›Escorial‹ Ausschau zu halten. Tipptapp, tipp-tapp ließ er den Taster rastlos arbeiten, bis Kap Cod mit seinem Erkennungszeichen antwortete. Dann gab er zweimal hintereinander folgende Funkmeldung durch:
›Escorial in der Hand von Piraten. Standort ungefähr 64 Grad Nord, 45 Grad West. Kurs nördlich. Verständigt Sussex und Kent. SOS.‹
Nach einer kurzen Pause kam die Antwort:
›Sussex, Kent und drei amerikanische leichte Kreuzer machen Jagd auf euch. Position augenblicklich 60 Nord, 46 West. Werden verständigte Fast unmittelbar hinterher fing er einen andern Funkspruch auf. Er stammte von der ›Kent‹ und war offenbar an die zurückgebliebene ›Sussex‹ gerichtet:
›Funkspruch Escorial aufgenommen. Dampfer peilt Nordost zu Nord. Eigenpeilung angeben.‹
Die Antwort der ›Sussex‹ vermochte er nicht abzulesen, dagegen hörte er nach
Weitere Kostenlose Bücher