057 - Schreckensmahl
mir
nichts anderes vorgenommen. Ich hatte nur den einen Wunsch: euch mal wieder zu
sehen und zu wissen, wie es euch geht.«
»Das ist schön von dir, Brian«, sagte Jonathan Calley.
Der nächste Tag verging damit, daß Jonathan Calley seinen
Schwager in allen Räumen herumführte. Brian zeigte sich fasziniert von der
Gestaltung der im Aufbau befindlichen Horrorkammer. Jonathan war ein wahrer
Künstler, ein Mensch, in dem sich Genie und Wahnsinn in seltener Eigenart
paarten.
Die Gestalt in den Booten hatte ihre Perfektion erreicht.
Jonathan hatte die Gesichtszüge in einer Widerwärtigkeit
aufgezeigt, daß einem Betrachter übel wurde. Schwärme von Fliegen bedeckten
eine dick mit gelblich-weißer Masse eingeschmierte Gesichtshälfte und füllten
den Mund der Wachsgestalt. Die Hände zu beiden Seiten der Boote hingen wie
verknöcherte bizarre Zweige heraus. In seltener Eindringlichkeit war es Calley
gelungen, den Eindruck wiederzugeben und die Qual des Mannes aufzuzeigen.
Bereits jetzt war die andere Ecke der Kammer für die
nächste Gestalt vorbereitet. Jonathan Calley hatte dort einen Tisch aufgebaut
und darum drei altpersische Stühle gruppiert.
Kostbares Geschirr sollte nachfolgen.
Das verriet er Brian Welverton.
Eine Gruppe von Personen sollte sich gegenübersitzen.
Eine davon ein siegreicher König, der seinem gegen ihn aufmurrenden Bruder die
eigene Gattin zum Mahl vorsetzte.
In der Ecke gegenüber wollte Jonathan Calley Personen
zeigen, die durch Pfählen, Kreuzigen und Schmoren in glühender Asche
hingerichtet werden sollten.
Calley hatte bereits die Skizzen der Gestalten auf großem
grauem Papier entworfen. Es war schaurig.
Am späten Nachmittag dieses Samstages machte Brian mit
seinem Schwager in dem weißen Minicooper eine Spazierfahrt, während Sandra zu
Hause blieb, um einen Kuchen zu backen.
Die beiden Männer amüsierten sich fast zwei Stunden.
Sandra fand es ausgezeichnet, daß Jonathan sich von ihrem Bruder hatte
überreden lassen, die Spazierfahrt mitzumachen. Es war das erstemal seit vielen
Jahren, daß er das Haus überhaupt verließ. Vielleicht brachte ihn das auf
andere Gedanken.
Vielleicht sprach auch Brian auf Jonathan ein und brachte
ihn dazu, den dringend notwendigen Erholungsurlaub anzutreten.
Brian würde sicher auch dafür sorgen, daß ein Psychiater
sich um Jonathan kümmerte, und vielleicht würde das einen Silberstreifen am
Horizont bedeuten.
Sie hörte das Auto vorfahren. Vom Fenster des ersten
Stockes aus sah sie die beiden Männer ins Haus kommen. Beide begaben sich in
die Kellerräume.
Sandra Calley kümmerte sich nicht um die Männer. Brian
würde Jonathan schon von der richtigen Seite anpacken. Sie wollte jetzt nicht
dazwischenfahren. Mit einem raschen Blick auf die Uhr vergewisserte sie sich,
daß in einer halben Stunde Teezeit war. Five o’clock tea! Zum erstenmal
brauchte sie ihren Mann nicht zu rufen. Er kam pünktlich. Mit Brian Welverton
an seiner Seite. Während des Teetrinkens stellte sich heraus, daß Brian und
Jonathan die Absicht hatten, bis in den späten Abend hinein noch etwas im Wachsfigurenkabinett
zu erledigen. Brian wollte Jonathan behilflich sein.
Gleich nach dem Tee verschwanden sie. Zum Supper tauchten
sie noch mal auf. Pünktlich.
»Du brauchst nicht auf uns zu warten, Sandra«, sagte
Jonathan Calley.
Sandra kam es so vor, als würde die Nähe Brians schon
etwas ausmachen. Ihr Gatte machte einen ruhigeren, besonneneren Eindruck.
»Wir kommen erst ziemlich spät.«
Brian Welverton bestätigte das. »Ich muß mit Jonathan
noch etwas erledigen, Sandra. Es kann Mitternacht werden.
Vielleicht noch später. Wir werden dir morgen alles
erzählen.«
Er zwinkerte ihr heimlich zu, wie um ihr zu verstehen zu
geben, daß er verhältnismäßig gut mit Jonathan zurecht kam.
Wirkte bereits ein guter Einfluß? Kam durch die Nähe
Brians Jonathan zu Bewußtsein, wie verschroben und skurril er sich verhielt?
Es war schon spät.
Sie lag allein im Bett. Einmal war es ihr, als würde ein
Auto vorfahren. Brian? Aber das konnte nicht sein. Ein Traum?
Am nächsten Morgen lag Jonathan neben ihr im Bett. Er
schlief noch. Sandra stand auf, um das Frühstück zu bereiten.
Von der Küche aus hatte sie einen guten Blick in den
parkähnlichen Garten. Direkt unten vor dem Haus hatte Brians Minicooper
gestanden. Nun war er verschwunden!
Sandras Herz überschlug sich.
»Brian?« wisperte sie. Sie eilte die Treppe hoch, klopfte
an die Zimmertür, hinter der ihr
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