057 - Schreckensmahl
Bruder während der vergangenen beiden Tagen
geschlafen hatte. Als sich auf ihr mehrmaliges Klopfen niemand meldete, trat
sie ein. Das Zimmer war unverschlossen, und niemand lag im Bett. Es war
unberührt.
Sandra verstand die Welt nicht mehr. Brian war abgereist?
Aber nein, das konnte nicht der Fall sein. Sein Koffer
stand noch auf der Bank und seine Kleider hingen im Schrank.
Sandra stürzte die Treppen hinunter, in das Schlafzimmer
ihres Mannes. Jonathan stand gerade auf.
»Wo ist Brian?«
»Noch nicht zurück?« wunderte ihr Mann sich. »Er wollte
etwas für mich erledigen. Er ist im Morgengrauen schon weggefahren. Brian ist
ein verdammt hilfsbereiter Bursche, Sandra. Mir fehlt ein Rohprodukt, das ich
dringend für den weiteren Ausbau des Kabinetts benötige. Brian war überzeugt
davon, es in der Stadt zu erhalten. Ich wollte mitfahren, aber er war der
Meinung, daß der Schlaf für mich wichtiger sei. Er macht sich scheinbar überhaupt
Sorgen um mich, scheint mir.«
Dann frühstückten sie. Sandra wartete auf Brians
Rückkehr.
Er kam nicht.
»Offenbar hat er Schwierigkeiten, es zu bekommen«,
murmelte Jonathan. »Ich habe gleich zu ihm gesagt, ich fahre mit.
Aber davon wollte er nichts wissen.«
Nach dem Frühstück verschwand Jonathan in seinen Kammern
und rumorte dort herum.
Erst nach einer Stunde fiel Sandra auf, daß etwas nicht
stimmen konnte.
Es war Sonntag! Was wollte Brian in der Stadt? Alle Läden
waren doch geschlossen!
Sie hastete in den Raum, in dem Jonathan sich gerade
befand und sagte ihm das. Ihr Gatte schlug sich vor den Kopf.
»Verdammt! Daran hat kein Mensch gedacht!
Aber das konnte auch nur uns passieren. Wir waren so
fasziniert von unseren Ideen, daß wir keinen Augenblick daran dachten, daß
Sonntag sein könnte. Aber das wird Brian wohl auch inzwischen bemerkt und den
Rückweg angetreten haben.
Ich habe euch doch den Sonntagsbraten versprochen, nicht
wahr? Dann will ich mich gleich dran machen, daß Brian nachher nicht auch noch
zu warten braucht. Und du ruhst dich heute mal schön aus. Das war Brians
sehnlichster Wunsch.«
»Hoffentlich ist ihm nichts passiert«, sagte Sandra
leise.
»Was soll ihm schon passiert sein?«
»Bei dem heutigen Verkehr …«
»Ach, Unsinn!« Mit der ihm eigenen Gestik winkte Calley
ab.
Seine großen Augen schienen das ovale, glatte Gesicht
fast völlig auszufüllen. »Er ist ein guter Fahrer.«
Der Vormittag verging. Jonathan Calley kramte in der
Küche herum. Wie in alten Zeiten, dachte Sandra, während sie im Wohnzimmer auf
der Couch lag und in einem Buch blätterte.
So ruhig und ausgeruht hatte sie es schon lange nicht
mehr gehabt. Es war richtig gemütlich.
Geschirr klapperte, Fett spritzte, der Braten schmurgelte
im Topf.
Jonathan Calley pfiff leise ein Lied vor sich hin.
Gelegentlich erhob Sandra sich und warf einen Blick aus
dem Fenster, um nach Brians Wagen Ausschau zu halten. Er war noch immer nicht
zurückgekehrt, und die Sorgen der Frau wurden nicht kleiner.
Es war schon ein Uhr. In die Küche zu gehen, wagte sie
nicht.
Jonathan würde ungehalten sein. Er hatte es nicht gern,
wenn man ihm beim Kochen zusah. Er wollte das fertige Mahl auf dem Tisch haben.
Es wurde zwei Uhr. Dann war Jonathan Calley fertig. Von
Brian Welverton noch immer keine Spur.
»Komm, Sandra! Das Essen ist fertig. Ich habe
aufgetischt!«
Er hatte sich wirklich Mühe gegeben. Kostbares altes
Porzellan stand auf dem Tisch im Eßzimmer.
»Persisches Geschirr – zu einer echt altpersischen
Speise.
Es ist ein Jammer, daß Brian noch nicht da ist.«
»Vielleicht sollten wir die Polizei verständigen«, meinte
Sandra. Ihr Gesicht war bleich. Sie freute sich gar nicht auf das duftende
Essen.
»Wenn ein Unfall passiert ist – kein Mensch weiß, daß er
uns benachrichtigen soll …«
»Nicht alles gleich zu schwarz sehen. Wir fangen auf
jeden Fall an zu essen. Es ist schon spät. Und das Essen soll nicht kalt
werden. Dann schmeckt es nicht mehr. Wenn Brian noch kommt, soll es uns recht
sein. Andernfalls heben wir ihm etwas auf. Und nun komm bitte …«
Er führte Sandra zum Tisch. Alles war vorbereitet.
Sie brauchte nur noch zu servieren.
Jonathan hatte sich wieder mal selbst übertroffen. Er strahlte
über das ganze Gesicht, und seine großen, seltsamen Augen hingen an ihr, als
müsse er seine Frau ständig beobachten.
»Ich habe seinen Wagen in den Fluß gefahren!
Heute in den frühen Morgenstunden!
Es war nicht schwierig«, sagte Jonathan
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