057 - Schreckensmahl
frei.
Er begriff, daß dieses Mädchen seines Lebens nicht froh
wurde. Diese spießigen Burschen hier und die Weiber des Dorfes hatten etwas
gegen diesen Aufzug.
»Wie geht es eigentlich Ihrer Mutter?« fragte er
unvermittelt.
»Sie schläft noch. Meistens bleibt sie sogar den ganzen
Tag im Bett.«
»Wenn ich die Reparatur schnell beenden kann, dann ist es
gar nicht ausgeschlossen, daß ich noch ein paar Tage hierbleibe. Sicher bekäme
es Ihrer Mutter, wenn man sie einmal ausfahren würde. Raus aus den vier
Wänden.«
Sie schüttelte den Kopf, »Ihr Angebot ist sehr
freundlich, Monsieur. Aber ich glaube kaum, daß ich Mutter dazu überreden kann.
Ich sagte schon, daß sie sehr alt ist.
Autofahren – das ist nichts mehr für sie.«
Damit war dieses Thema vorerst tabu. Solkan konzentrierte
sich auf die Arbeit. Madelaine sorgte dafür, daß er einen alten, verschlissenen
Mechanikeranzug überstreifte und sie beschaffte ihm die Werkzeuge.
Die meisten waren nicht mehr zu verwenden. Solkan mußte
sie erst in einem Benzinbad reinigen, um sie benutzen zu können.
So verging der erste Tag. Er war angefüllt mit
Vorarbeiten.
Zur eigentlichen Reparatur kam Rolf Solkan nicht.
Auch die nachfolgenden drei Tage vergingen wie im Flug.
Sie redeten öfter miteinander, kamen sich näher, lernten
sich besser verstehen.
Während seines Aufenthaltes im Dorf sah Solkan, wie die
Einheimischen ihre Abneigung der Fremden gegenüber spüren ließen. Wenn die
Bauern an der Tankstelle vorüber mußten, um zu den dahinterliegenden Äckern und
Feldern zu kommen, dann warfen sie keinen einzigen Blick herüber.
Solkan vertiefte sich ganz in seine Arbeit. Am Morgen des
vierten Tages fand er den Fehler, und er war überrascht, daß er nicht früher
daraufgestoßen war. Ein Fehler in der elektrischen Anlage. Hätte er
dementsprechende Prüfgeräte zur Verfügung gehabt, wäre es ihm sofort
aufgefallen, aber so …
Zufrieden brachte er die Reparatur bis zur Mittagszeit zu
Ende.
Madelaine seufzte. »Nun ist es also so weit«, sagte sie
leise.
»Sie reisen noch heute ab?«
Er schüttelte den Kopf. »Ich sprach bereits davon, daß
ich gern die Umgebung hier näher kennenlernen möchte.«
Sie nickte eifrig, und ihre Augen leuchteten. »Es ist
sehr schön hier, trotz der zahlreichen Sümpfe und Moore. Die Landschaft ist
herrlich.«
»Dann könnten Sie mir die nähere Umgebung zeigen. Ich bin
schließlich fremd hier.«
Sie senkte den Blick. Ihr Gesicht war mit einer zarten
Röte bedeckt.
Am Abend dieses Tages nahm Rolf Solkan sie zum erstenmal
in die Arme. Feucht und heiß waren Madelaines Lippen.
Sie zitterte ein wenig, als er sie losließ, lehnte denn
den Kopf gegen seine Brust, als hätte ein Mann sie zum ersten Male geküßt.
An diesem Abend sah er auch den Engländer wieder in der
Pension. Offenbar war er die letzten Tage in der Gegend herumgereist, weil er
ihn kaum zu Gesicht bekommen hatte.
Und wenn sie sich sahen, wichen sie sich aus. Es schien,
als wollten beide die Erinnerung an das nächtliche Gespräch nicht wieder
aufleben lassen.
An diesem Abend aber sprach Solkan den Engländer an.
»Nun, Erfolg gehabt?«
»Ich war den ganzen Tag unterwegs«, reagierte Cumberland
sofort, so, als müsse er Rechenschaft ablegen. »Es gab vieles zu besprechen.
Genaues erfährt man allerdings nicht.«
Solkan lachte unbeschwert. Er fühlte sich glücklich, und
eine eigenwillige Zufriedenheit erfüllte sein Herz.
»Das wundert mich nicht.«
Cumberland biß sich auf die Lippen. »Sie sind nun schon
vier Tage hier. Das wundert mich.«
»Ich bleibe sogar noch länger hier.«
Der Journalist hob die Augenbrauen.
»Ah. Sie kommen wohl mit der Reparatur nicht recht
voran?«
»Doch, der Wagen marschiert wieder.«
»Sie waren die letzten Tage ständig drüben. Haben Sie
auch die Mutter gesehen?«
»Nein. Es ist so wie ich sagte, sie ist bettlägerig.«
»Hm. Und nun haben Sie sich mit Madelaine verabredet,
nicht wahr?«
Solkan nickte. »Ja. Gut kombiniert.« Er betonte seine
Worte absichtlich sehr scharf.
»Das habe ich mir gedacht. Genauso hat es bei meinem
Freund Georg angefangen.«
Der nächste Abend wurde für Rolf Solkan zu einem
Erlebnis.
Madelaine fuhr mit ihm aus. Es ging an der tristen,
düsteren Moorlandschaft vorbei. Wellig dehnte sich das saftige Grün der Wiesen
vor ihm aus. Sie fuhren bis zum Rand eines kleinen Wäldchens. Die letzten
Sonnenstrahlen schimmerten durch das Blattwerk. In der Dämmerung saßen Rolf
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