0574 - Der chinesische Tod
Platz für die alten Möbel, deren Holzoberfläche mit Lack überzogen waren, er hatte auch im Raum seinen Altar aufgebaut, vor dem er meditierte oder betete.
Mich interessierte der Altar. In der Luft lag noch immer der kalte Rauch von Räucherstäbchen, die auf dem kleinen Altar eine Figur einrahmten.
Es war ein Zwerg!
Zum erstenmal in meinem Leben bekam ich den chinesischen Tod zu Gesicht. Die Figur war nicht größer als meine ausgestreckte Hand, allerdings nicht so breit.
Sie stand schief, das rechte Bein war kürzer als das linke. Zudem fehlte ihr ein Teil der linken Gesichtshälfte. Das Ohr war nur einmal vorhanden, der Mund hörte nach Dreivierteln seiner Breite auf, aber die Augen waren noch da.
Sie funkelten, als würde Leben in ihnen stecken, obwohl das nicht stimmte, denn sie bestanden aus Steinen, die Ähnlichkeit mit Diamanten aufwiesen.
Die Farbe lag irgendwo zwischen Blau und Grün. Man konnte sie als türkis bezeichnen.
Als ich die Figur berühren wollte, stieß Osa einen Zischlaut aus.
»Nicht – lassen Sie die Finger davon, Sinclair!«
»Weshalb?«
»Ganz einfach. Man kann nie wissen, welche Sicherungen noch eingebaut worden sind.«
»Was sollte passieren?«
»Nicht jeder darf sie berühren!«
Osa war nicht näher gekommen. Sie hielt einen respektablen Abstand ein. Ihre Warnungen hatte ich gehört, aber ich war es auch gewohnt, den Dingen auf den Grund zu gehen und legte dementsprechend vorsichtig meine Hand um die Figur.
Nichts passierte. Mich überkam nur der Eindruck, als wäre das Material handwarm.
Und die Figur war mit dem Altar verankert. Als ich sie hochheben wollte, klemmte sie fest.
Ich drehte sie. Der Mund klappte auf, und ich hörte das Zischen.
Aus dem Maul strömte die weißgrüne Gaswolke, die sich so schnell verteilte, daß ich mich nur mit einem Sprung vor ihr in Sicherheit bringen konnte.
Osa fluchte wie ein alter Landsknecht, als sie auf die Tür zulief. Ich nahm den gleichen Weg: Fast wären wir noch zusammengestoßen.
»Sinclair, was haben Sie da gemacht?« Sie rammte die Tür von außen zu. »Ich habe Sie gewarnt.«
»Beruhigen Sie sich, es ist nichts passiert.«
»Das Zimmer ist jetzt eine Gifthölle. Tiau ist gefährlich. Er geht nie ohne Sicherung.«
»Stimmt. Aber wo ist er hin?«
»Ich finde es heraus.« Sie deutete auf ihre Brust. »Ich allein, Sinclair!«
»Irrtum, Lady, ich bin dabei!«
Sie ballte die Hand zur Faust. Es sah aus, als wollte sie in mein Gesicht schlagen. »Nein, zum Henker! Man wird uns nichts sagen, wenn wir zu zweit sind.«
»Wie hieß er noch?« fragte ich dazwischen.
»Wer?«
»Der junge Mann, der…«
»Feng!«
»Den suchen wir auf. Er wohnt hier im Haus. Geben Sie es zu, Osa. Verflixt noch mal.«
»Ja, er wohnt hier.«
Ich schob sie vor. Sie leistete keinen Widerstand. An der Haustür trafen wir auf neugierige Kinder. Sie schauten mich an, als hätten sie zum erstenmal einen Weißen gesehen. »Wo ist denn Feng?« stellte ich wie beiläufig die Frage.
»Im Keller.«
»Danke.« Ich drehte mich schon um.
»He, verdammt, Bulle, warte!« Osa rief und fluchte auch hinter mir her. An der Kellertür holte sie mich ein. Ich hatte sie bereits aufgezogen, fand einen Lichtschalter, drehte ihn auch herum, nur wurde es nicht hell.
»Der weiß genau, was er tut«, flüsterte Osa.
»Und ich auch.« Meine Lampe brannte. Verdammt, ich wollte Suko heraushauen und mich nicht durch irgendwelche Leute aufhalten lassen. Die Treppe war lebensgefährlich, weil holprig. Sie endete vor einem Quergang, wo die einzelnen Keller nebeneinander lagen und durch hölzerne Gittertüren gesichert wurden.
Feng fanden wir in keinem der Keller. Er hatte sich unter einer Schräge verkrochen und blinzelte in den Schein meiner Lampe.
»Da ist er«, sagte Osa.
»Wen hast du denn da mitgebracht?«
»Keine Sorge, der tut dir nichts. Das ist ein Bulle. Sei froh, daß wir nicht allein sind.«
Auf seinem noch jungen Gesicht erschien der Ausdruck der Erleichterung. »Sie können mich nicht verhaften«, sagte er trotzdem.
»Ich habe nichts getan, nicht gedealt…«
»Ich will Sie nicht verhaften, mein Lieber. Ich möchte nur eine Auskunft von Ihnen.«
»Ja?«
»Wo steckt Tiau?«
Als ich den Namen erwähnte, duckte er sich noch tiefer. Wie eine Maus kam er mir vor, die sich vor mir, der Katze, verkriechen wollte.
»Rede!« meldete sich Osa aus dem Hintergrund. »Oder ich schneide dir die Ohren ab!«
»Keine Drohungen, bitte.«
Sie lachte nur. »Der
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