0574 - Der chinesische Tod
ersten, und sie sind ebenso grausam, das kann ich dir versprechen. Sie werden mit den Kräften der Natur spielen und sie verbinden mit einer alten Drachenmagie. Sie brauchen Kraft, sie brauchen die Kräfte der Menschen, um existieren zu können, und diese Seelenkraft wirst auch du ihnen geben. Wenn du nach oben schaust, siehst du den Drachen. Er wird das Feuer speien, daß dich letztendlich verbrennt. Wenn aus deinem Körper der Rauch steigt, werden die Zwerge kommen und ihn einsaugen wie den herrlichsten Balsam, denn nur er garantiert ihnen eine weitere Existenz. Mich erkennen sie als ihren neuen Meister an. Ich hab ihnen geholfen, sie werden mir helfen. In diesem Viertel werde ich bald herrschen, mich hat die Sonne auch noch in meinem hohen Alter getroffen, weil ich den Mut und die Hoffnung nie aufgab. Brennen für den Tod«, sagte der Alte. »Brennen für den chinesischen Tod. Du bist einer von uns, auch wenn du schon lange in dieser Stadt lebst und dich gewissen Gesetzen unterworfen hast. Dennoch muß es dir zur Ehre gereichen, auf diese Art und Weise zu sterben, Suko. Auch wenn du Polizist bist…«
Er sagte nichts mehr. Suko lagen zahlreiche Fragen auf der Zunge, nur war es ihm nicht möglich, sie zu stellen. Die Lähmung hielt an und blieb, auch wenn er dagegen ankämpfte.
Tiau zog sich zurück. Suko hörte noch, wie er mit den Zwergen sprach und richtete seinen Blick gegen das Drachenmaul über ihm.
Er glaubte nicht daran, daß der Alte gelogen hatte. Aus dem breiten Maul würden die Flammen fließen, ihn erreichen und zerschmelzen, damit sich die Zwerge an seinen Resten laben konnten und neue Kraft und Stärke bekamen.
Suko konnte nicht sagen, wie er sich fühlte. Fast wie ein lebender Toter oder ein Scheintoter. So ähnlich mußte es einem ergehen, der lebte, sich nicht bemerkbar machen könnte und nur auf seine schreckliche Beerdigung wartete.
Suko hörte sich entfernende Schritte. Dem Klang nach zu urteilen, mußte es der Alte sein. Er verließ den Raum nicht, blieb irgendwo stehen und begann zu sprechen.
Den Dialekt kannte Suko nicht. Erst redete der Mann, dann fing er an mit einem hohen Singsang und dehnte seine Worte gummiartig aus. Zwar verstand Suko nicht, was er genau sang, doch der Klang, vermischt mit den beschwörenden Worten, sagte ihm genug.
Hier sollte ein Götze, ein Geist, eine Kraft beschworen werden, die das Feuer schickte.
Der Drache!
Er bewegte sein Maul.
Suko täuschte sich nicht. Der Singsang des Alten hatte dafür gesorgt und magische Ströme in die gezeichnete Figur fließen lassen, die sich bewegte.
Es war nur ein Zucken der beiden Kiefer, dann das Vorschnellen der Zunge, die wie eine Peitsche wirkte und sich in einem gewissen Abstand von der Decke bewegte.
Nein, an die Decke gezeichnet worden war er nicht. Er war einfach ein Gebilde, das ein Stück von der Decke entfernt hing und von unten betrachtet so aussah, als wäre es gezeichnet.
Der beschwörende Singsang ging dem Inspektor auf die Nerven, da er seine Tonlage verändert hatte. Sie war übergegangen in ein hohes, jammerndes Heulen, das an die Wehlaute klagender Tiere erinnerte. Das Heulen blieb. Es durchzitterte den Raum und peitschte die Emotionen des Drachen an. Durch dessen Körper liefen zuckende Wellen, die sich bis hinein in den Schwanz fortsetzten. Das Maul stand weit auf. Ein schrecklich klingendes Fauchen war zu hören.
Wie ein Sturmwind wirbelte es über den im offenen Sarg liegenden Suko hinweg.
Der für ihn nicht mehr sichtbare Alte schien in Rage zu geraten. Er brüllte auf, er benahm sich akustisch wie ein Derwisch; das harte Stampfen stammte wahrscheinlich von seinen Füßen. Er schrie den Drachen an, der seinen Kopf von einer Seite auf die andere schlug, ohne dabei die Decke zu berühren, plötzlich stoppte und den häßlichen Schädel nach unten senkte.
Suko stierte in die Augen, in das offene Maul und in das Feuer, das ihm entgegenschlug…
***
Diesmal stellte Osa, das Halbblut, ihr Rad nicht an der Hauswand ab. Sie hatte keine Zeit mehr, sie schleuderte es kurzerhand zu Boden und ließ es auf dem Gehsteig liegen.
Zwei Schritte brachten sie bis an die dunkelrot lackierte Eingangstür des Hauses, das den Chinesen gleichzeitig als Tempel oder Pagode diente.
Mit gelber Farbe war auf die Tür das Zeichen des Drachen gemalt worden. Eine Klinke besaß sie nicht, dafür einen Knauf, den Osa drehte, aber nicht öffnen konnte.
Wut stieg in ihr hoch. Sie schaute sich nach Sinclair um, während sie
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