0578 - Im Labyrinth der Toten
können."
„Sie wären ein vollwertiger Ersatz gewesen", meinte Alexandra Bluebird. „Dalaimoc, was führt Sie zu mir? Welches Anliegen möchten Sie vortragen?"
Der Tibeter kratzte sich mitten auf seinem kahlen Schädel, der wie frisch gewachstes Parkett glänzte, dann versteckte er die Hände hinterm Rücken.
„Ich würde gern ein Kilo frische Austern kaufen, Miß Bluebird", erklärte er verlegen.
Alexandras Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen.
„Wollen Sie mich auf den Arm nehmen?"
„Herzlich gern, aber ich darf nicht. Ich habe geschworen, keine Frau zu begehren, ehe ich nicht völlig geläutert bin."
Die Faunameisterin wandte sich rasch ab, um ihre Heiterkeit vor Rorvic zu verbergen. Ihre Schultern zuckten krampfhaft, und aus ihrer Kehle drangen Laute, die wie ersticktes Schluchzen klangen.
Dalaimoc starrte auf Alexandras Rücken, dann sagte er vorwurfsvoll: „Wie kannst du dich so dem Schmerz hingeben, Weib! Was erwartest du vom Leben als einen langen Todeskampf und Leid.
Die Kinder haben recht, wenn sie weinen, sobald sie auf die Welt gekommen sind."
Alexandra lehnte sich mit der Stirn gegen die durchsichtige Wandung, preßte die Hände gegen ihren Leib und lachte lauthals los.
Der Tibeter wurde blaß, drehte sich um und bestieg wortlos das Transportband, das ihn tiefer ins Meer hinein brachte. Unterwegs murmelte er unablässig Beschwörungen.
Am Ende des „gläsernen" Fingers befanden sich einige Schaltstationen, ebenfalls hinter transparenten Wänden untergebracht. Dahinter lagen die Ausstiegs- und Ankopplungsschleusen, deren acht Röhren auf einer beweglichen Platte wahlweise an die Kaischleuse angeschlossen werden konnten.
Rorvic betrat eine der Schaltstationen. Hinter einem Steuerungstisch saß ein beleibter Mann in Shorts, einem buntbedruckten Pulli und Sandalen. Ein Schild auf der Brust wies ihn als Farm-Dispatcher aus.
„Hallo!" sagte Dalaimoc.
Der Dispatcher blickte auf.
„Hallo! Sie wünschen?"
Der tibetische Albino setzte sein freundlichstes Lächeln auf.
„Ich möchte gern ein paar Hektar Farmland erwerben oder pachten", meinte er zögernd. „Vorher aber würde ich gern wissen, wie die Ertragslage ist."
Der Dispatcher runzelte die Stirn.
„Die Ertragslage für welche Produkte?"
„Nun, beispielsweise bei Thunfisch. Das soll ja sehr gesund sein."
„Ausgerechnet Thunfisch!" Der Dispatcher starrte Rorvic an, als hätte er einen Verrückten vor sich, der aus dem Sanatorium ausgebrochen war.
„Warum nicht?"
„Haha! Haben Sie schon einmal etwas von ‚Nahrungsketten' gehört, mein Herr?"
Dalaimoc Rorvic zuckte die Schultern. Er hatte keine Ahnung, wovon der Dispatcher sprach. Sein Anliegen war ja auch nur ein Vorwand gewesen, um sich in diesem Sektor von Vahoe gründlich umsehen zu können.
Der Dispatcher grinste.
„Nehmen wir an, Sie wollten 100 Gramm Thunfisch erzeugen, dann ist es nicht damit getan, in eine abgesperrte Meeresfarm junge Thunfische einzusetzen und darauf zu warten, daß sie wachsen. Nein, zur Erzeugung von 100 Gramm Thunfisch werden 1 Kilogramm Makrelen, 10 Kilogramm Anchovis und 100 Kilogramm Plankton benötigt.
Thunfische, mein Herr, ernähren sich nämlich von Makrelen, Makrelen von Anchovis und Anchovis von Plankton. Das nennt man eine Nahrungskette. Die Voraussetzung zur Produktion von Thunfischen ist also das Vorhandensein eines großen Plankton-Angebotes, und das kann trotz der Einstreuung von veredeltem Müll und aufbereitetem Klärschlamm nur wenig über die naturgegebene Maximalgrenze hinaus erzeugt werden."
„Aha!" machte Rorvic matt. „Könnte man denn als Nahrungsgrundlage für das Plankton nicht gemahlenes Thunfischfleisch verwenden?"
Der Dispatcher stöhnte und sah aus, als würde er im nächsten Moment ohnmächtig werden.
Rorvic drehte sich um und marschierte grinsend aus der Schaltstation. Vor der äußersten Schleuse des Unterwasserkais blieb er stehen und blickte durch die transparenten Wände hinaus. Das Meer wurde durch eine neuartige Planktonart erhellt, eine halbsynthetische Züchtung, die nicht nur selbstleuchtend, sondern auch unverdaulich war, so daß sie nicht durch gefräßige Meerestiere dezimiert werden konnte.
Ein romantisch veranlagter Mensch hätte die durch das Dämmerlicht gleitenden Fischschwärme und die golden schimmernden Nebelwolken des Synthoplanktons vielleicht als zauberhaft empfunden; Dalaimoc Rorvic dagegen überlegte nur nüchtern, ob die abgerichteten und als „Schäferhunde" dienenden
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