0578 - Im Labyrinth der Toten
Sache.
Der Transmittergeschädigte hatte während seiner Sonderausbildung das alte terranische Morsealphabet lernen müssen, und nun erkannte er in dem Wechselspiel von Punkten und Strichen eine Botschaft.
„Kurz lang - kurz lang kurz kurz - kurz lang - kurz kurz kurz - lang kurz lang - kurz lang. Lang kurz kurz kurz - kurz lang kurz - kurz kurz lang - lang kurz kurz - kurz - kurz lang kurz. Kurz kurz kurz kurz - kurz kurz - kurz lang kurz kurz - kurz kurz lang kurz - kurz."
Das bedeutete: „Alaska. Bruder. Hilfe!"
Saedelaere erschauerte.
Wer rief da mit Hilfe des terranischen Morsealphabets? Wer nannte ihn „Bruder"?
Als keine neuen Morsezeichen mehr kamen, nahm Alaska die Lampe und blinkte, gegen die Lichterwand gerichtet, eine Antwort: „Wie kann ich helfen?"
Aber er wartete vergebens auf eine Reaktion. Nach einigen Minuten vergeblichen Wartens begann er zu rufen, zuerst auf Angloterran, dann auf Interkosmo und schließlich in den beiden Varianten des Tefroda.
Doch auch darauf antwortete niemand.
Saedelaere verfolgte den Gedanken, eine vorprogrammierte Maschine könnte ihm die Botschaft zugeblinkt haben, wäre aber nicht für Antworten programmiert.
Aber er verwarf den Gedanken bald wieder.
Niemand konnte vorausgesehen haben, daß er, Alaska Saedelaere, zu einer bestimmten Zeit an diesem bestimmten Ort sein würde. Folglich hätte auch niemand eine Maschine mit einer Nachricht an ihn programmieren können.
Nein, der Absender hatte seine Botschaft direkt über die Maschinerie des alten Lemurer-Stützpunktes an ihn gerichtet, und zwar genau im richtigen Moment. Das bedeutete, er hatte gewußt, daß Alaska vor der Lichterwand stand. Folgerung: Dieser Jemand hatte ihn beobachtet und beobachtete ihn vielleicht noch immer.
Alaska Saedelaere holte tief Luft. Aber der Ärger über den „stillen" Beobachter verflog rasch. Dieses Wesen, höchstwahrscheinlich ein Mensch, hatte ihn Bruder genannt und um Hilfe gebeten. Natürlich war „Bruder" nicht im wörtlichen, sondern im übertragenen Sinne gemeint gewesen, etwa gleichbedeutend mit „Freund" oder „Mitmensch" oder „Gleichgearteter".
Jemand wollte ihm also klarmachen, daß sie beide keine Feinde waren, daß es zwischen ihnen keine unüberwindlichen Gegensätze gab, und daß Alaska irgendwann in irgendeiner Form helfen möge.
Der Transmittergeschädigte seufzte.
Er steckte in einer Sackgasse - und das sowohl im wörtlichen als auch übertragenen Sinn.
Sollte er auf etwas warten, das vielleicht nie eintrat - oder sollte er lieber umkehren?
Erneut erloschen die Lichter - und zum zweitenmal benutzte jemand die Erfindung von Samuel Morse dazu, einem Menschen der Zweiten Menschheit über ein von der Ersten Menschheit gebautes Gerät eine Botschaft zu übermitteln.
„Kurz lang lang - kurz lang - kurz lang kurz - lang - kurz - lang kurz."
„Warten!"
Alaska hatte das Empfinden, sein Rückgrat verwandle sich in Eis.
Die letzte Botschaft hatte eine Tatsache eindeutig erwiesen: Der Unbekannte las Saedelaeres Gedanken!
Ein Telepath!
Aber der erste Schreck darüber verflog schnell, vor allem wohl deshalb, weil sich der Unbekannte nicht in der Rolle des Supermenschen befand, sondern in der eines Hilfsbedürftigen.
Alaska Saedelaere wartete.
Ungefähr eine halbe Stunde verging völlig ereignislos im Lichterraum, dann hatte Alaska das Gefühl einer körperlichen Berührung.
Er zuckte zusammen. Aber es war niemand da, obwohl sich das Gefühl wiederholte, ein Gefühl, als wenn eine Hand ganz zart über seinen Kopf strich.
Das Gefühl der Berührung schwand - und wiederholte sich verstärkt an der linken Hand.
Ein greller Schmerz explodierte gleichzeitig in allen Körperzellen Saedelaeres, verschwand schlagartig - bis auf ein charakteristisches Ziehen im Nacken.
Eine Transmission oder Teleportation!
Auf irgendeine Weise war Alaska sicher, daß es sich um eine Teleportation gehandelt hatte.
Der kegelstumpfförmige Raum mit der Lichterwand war verschwunden. Alaska Saedelaere stand in einem bedeutend größeren, quaderförmigen Raum, fast einem Saal, dessen Innenflächen aus einem blaugrünen, gläsern wirkenden Material bestanden.
An zwei Wänden standen große schwarze Metallplastikschränke, aus denen ein schwaches Summen und Knistern drang: Maschinen.
Die beiden anderen Wände waren leer.
Doch nicht lange, denn sie verwandelten sich plötzlich in große Bildschirme, auf denen dreidimensional und farbig eine bizarre Unterwasserlandschaft zu sehen
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