058 – Das Gift des Rings
Er würde sich informieren, was es damit auf sich hatte.
»Ich nehme dich mit. Aber dafür musst du deine Klugheit beweisen, Granaar. Du musst erkennen, wer der Stärkere ist. Du musst mich bitten.«
Granaar holte tief Luft. Bevor er seine Absage hinausschreien konnte, hielt er inne. Er war wirklich klug. Vor allem für einen Naat. »Sie sind nur für diesen Moment der Stärkere. Nur hier und jetzt.«
Sergh wartete. Zwei Herzschläge. Fünf.
Er wandte sich ab und schritt zur Korvette zurück. Er wusste, dass sein Gift in Granaar arbeitete. Stärke war für einen Naat die bestimmende Tugend. Granaar würde seinen Stolz aufgeben müssen, wenigstens für einen kurzen Augenblick, um den Ruhm von Luusok zu erringen. Nur die Arkoniden, die er so verachtete, konnten ihm dies ermöglichen. Ein winziger Moment der Schwäche für die Chance, seine Stärke im größten Triumph zu beweisen, den die Tasburs boten.
Wenn Granaar dafür zu ehrenhaft wäre, dann wäre er der Falsche für Serghs Plan. Um die Naats zu seiner Hausmacht zu machen, zu einer Truppe, die er auch gegen den Regenten einsetzen könnte, brauchte er Naats, denen die anderen folgten. Die Nomaden galten als besonders wild und stark, und das Imperium hatte nur wenige in seine Dienste pressen können. Ein bislang unerschlossenes Reservoir. Zudem beeindruckten sie die in den Städten lebenden Naats. Sie hatten beinahe die gleiche Stellung, die Heilige in anderen Kulturen genossen. Wenn Sergh die Nomaden gewönne, würden ihm auch die anderen folgen. Aber dafür wäre Granaar nur dann ein brauchbares Werkzeug, wenn seine Ehre nicht größer war als sein Selbsterhaltungstrieb. Sergh musste ihn sich verpflichten. Dafür brauchte er etwas, das Granaar wollte und das Sergh ihm vorenthalten oder geben konnte. Echte Ehre war dafür ungeeignet. Sie gehörte nur ihrem Träger.
Als er ter Marisol und Theta erreichte, schloss er seinen Helm. Das Einströmen eines dichten Luftgemischs mit höherem Sauerstoffanteil war ein Genuss. Er öffnete eine Funkverbindung zu ter Marisol. Wenn Granaars Ehre nicht korrumpierbar war, wäre es tatsächlich besser, ihn hier zu erschießen, wo es niemand mitbekäme. Bedauerlich – nach der Mühe, die Sergh sich gegeben hatte. Er konnte Granaar töten lassen, aber er würde sich dennoch als Verlierer fühlen.
»Arkonide!«, rief Granaar hinter ihm.
Erwartungsvoll schloss Sergh die Augen.
»Ich bitte Sie, mich zurück nach Naat zu bringen.«
3.
Naatmond Peshteer, Station TARRAS'GOLL
Ihin da Achran betrat das Speisezimmer so schnell, dass ihr Cape hinter ihr flatterte. Sein Feuerrot kontrastierte mit dem Stahlblau von Jackett und Hose. Eine Uniform, wie sie von hohen Offizieren während des neunten Spinwardfeldzugs getragen worden war. Ihin maßte sich weder Rangabzeichen noch Orden an. Nur den Sturmstreifen hatte sie nicht widerstehen können. Diese goldenen Balken durften diejenigen tragen, die Raumlandetruppen in den ersten Angriffswellen geführt hatten, meist durch das Abwehrfeuer planetarer Geschütze. Sie sahen einfach zu gut aus.
Wie Ihin gehofft hatte, war sie früh genug dran. Nur ein einziger anderer Gast war anwesend. Theta schaute aus dem Fenster, hinter dem sich das Panorama Peshteers öffnete. Der Speiseraum war ganz oben in dem faustförmigen Turm untergebracht, im Ringfinger, sodass man eine unverstellte Sicht hatte. Der Mond stand zwischen Naat und der Sonne, deren Strahlen die Felsen in rötliches Licht tauchten. Als wären die scharfzackigen Hügel gebrochenes, rostiges Eisen.
Theta eilte zu ihr, als Ihin die Arme ausbreitete. Sie war keine oberflächliche Schönheit. Die weiblichen Formen blieben dezent, und sie versuchte gar nicht erst, diesen Umstand durch Kleidung oder Schminke zu negieren. Was andere Frauen zu Kurtisanen dritter Wahl gemacht hätte, transzendierte Theta geradezu. Dadurch, dass sie ihre Natürlichkeit wie ein Banner vor sich hertrug, weckte sie Neugier. Während oberflächliche Schönheit rasch ermüdete, verhießen Thetas geschmeidige Bewegungen, ihre hellen Augen und ihre intelligenten Bemerkungen immer neue Geheimnisse, die es zu entdecken galt.
Auch Ihin ging es um Geheimnisse. Deswegen hatte sie ihre Kurtisane schließlich auf Sergh da Teffron angesetzt. Über wichtige Männer konnte man niemals genug wissen, wenn man als Rudergängerin für den Tross des Regenten um die kristallenen Kelche spielte.
Theta umarmte Ihin nicht, als sie die gedeckte Tafel umrundet hatte, sondern ergriff
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