058 - Der Duft von Sandelholz
hinter sich.
„Wie konntest du vor mir hierher gelangen?", hörte sie eine tiefe Stimme heiter fragen, die sich ganz plötzlich ganz nahe an ihrem Ohr befand. Sie erstarrte, als jemand mit starken Armen ihre Taille umfasste.
Erstaunt riss sie die Augen auf und blickte nach unten. Große, sonnengebräunte Hände hielten sie in einer zärtlichen Geste, und zu den Händen gehörten kräftige Unterarme in Ärmeln mit schönen, goldverzierten Manschettenknöpfen.
Fassungslos starrte sie sie an.
Wie konnte das sein?
Ihr Wunsch konnte unmöglich wahr geworden sein. Sie war nicht einmal sicher, was genau sie sich gewünscht hatte. Ist dies hier Wirklichkeit?
Konnte es das geben? Die große männliche Gestalt hinter ihr fühlte sich stark und mächtig an, strahlte Wärme aus, ganz leicht lehnte sie sich dagegen, nur um sicherzugehen.
Hinter ihr stand ein Mann!
Sie lag in den Armen von irgendeinem Mann! Und es war nicht Edward!
Sie holte tief Luft. Eigentlich wollte sie sich empört herumdrehen, doch sie hielt abrupt inne, voller Angst, der Traum könnte sich auflösen. Und dann erlebte sie den größten Schrecken
überhaupt: Sie kam zu der Erkenntnis, dass es sich wunderbar anfühlte, so umfasst zu werden.
Wie viele Jahre war es her, seit jemand sie so festgehalten hatte?
„Du solltest doch warten, mein Mädchen", schalt er zärtlich flüsternd und bückte sich, um mit den Lippen ihr Ohr zu berühren. „Aber ich vermute, du warst zu ungeduldig, oder?"
Lily erstarrte, sie war ebenso sprachlos wie verblüfft. Das Herz schlug ihr wie wild in der Brust, knapp über den Schmetterlingen in ihrem Bauch.
O weh.
In ihrer Erregung erkannte sie, dass ihr Besucher offenbar die falsche Lady im Arm hielt und es noch nicht bemerkt hatte. Ja, nicht umsonst veranstaltete man Kostümbälle. Welch außerordentlich unangenehme Situation. Vielleicht sollte sie ungehalten sein, aber seine Berührung fühlte sich ach so gut an!
Die großen sonnengebräunten Hände hatten begonnen, an ihren Armen hinauf und hinunter zu gleiten, langsam und verführerisch. Sie schluckte und unterdrückte ein Erschauern. Liebe Güte! Seine Berührung zeugte von großer Selbstsicherheit, und sollte sie irgendwelche Zweifel gehabt haben, wer sie da umfangen hielt, so verflogen die, als sie den Duft nach exotischen Gewürzen, der in seiner Uniform hing, wahrnahm. Vielleicht Sandelholz ...
Gerade aus Indien eingetroffen ...
Himmel, sie befand sich hier draußen ganz allein mit dem „Hengst der Saison".
Major Derek Knight.
„Also, wirst du mich nun küssen oder nicht?", flüsterte er, und Lily schmolz bei dieser Frage geradezu dahin. Ihre Antwort war ein noch schneller klopfendes Herz.
Warum sollte sie es eigentlich nicht tun?
Das war Wahnsinn.
Sie war nicht die Frau, um deretwillen er hierhergekommen war. Aber in diesem Moment gehörte seine Aufmerksamkeit ganz ihr, und - mochte Gott ihr beistehen -
sie fühlte sich geradezu schmerzhaft zu ihm hingezogen. Oh ja. In diesem Augenblick traf sie die Entscheidung, alles geschehen zu lassen. Wie sündhaft, wie herrlich, welch perfekte Erfüllung eines Traumes, von einem schönen Fremden im Mondschein geküsst zu werden,
von einem kühnen Helden aus fremden Ländern. Nur dieses eine Mal, diese eine Gelegenheit ergreifen, ehe sie ihre Pflicht gegenüber ihrer Familie erfüllen und jemanden heiraten musste, den sie niemals lieben konnte.
Es besteht keine Gefahr, dass er herausfindet, wer ich wirklich bin, ich trage eine Maske - diese Gedanken gingen ihr durch den Kopf, während ihr Puls immer heftiger schlug. Edward musste nie davon erfahren, und auch sonst niemand in London, wo es so viele Gerüchte gab. Wozu sonst wurden Maskenbälle veranstaltet, wenn nicht für diese sündhaften kleinen Abenteuer? Es tat niemandem weh. Sie konnte dieses Geheimnis genießen, die heftige Neugier befriedigen, die dieser Mann auf den ersten Blick in ihr geweckt hatte. Danach würde sie die Erinnerung in ihrem Herzen verschließen, um die langen, kalten Jahre zu überstehen, die vor ihr lagen.
Nur dieses eine Mal ...
Mit sanftem Druck auf ihre Taille begann Major Knight, sie herumzudrehen. Willig fügte sie sich seiner Führung, während ihr Herz vollkommen unkontrolliert schlug.
Als sie sich ihm zugewandt hatte, sah sie ihn an. O ja, das war er: Derek Knight. Er sah aus wie eine wahr gewordene Fantasie jeder Frau.
Nun, da sie so nahe beieinanderstanden, konnte sie würdigen, wie unglaublich gut dieser Mann
Weitere Kostenlose Bücher