058 - Der Duft von Sandelholz
sich dem aufmerksamen Blick des Majors entzog. Sie atmete schwer. Als sie sich etwas beruhigt hatte, sog sie die kühle Nachtluft tief in sich ein, erleichtert, nicht länger seinem Blick ausgesetzt zu sein. Und doch war sie seltsam erregt davon.
Es war, als hätte sie seit Jahren niemand mehr wirklich angesehen, bis jetzt, da Derek Knight sie betrachtet hatte. Sie richtig angesehen hatte.
Wie viele Jahre lang hatte sie nun schon versucht, sich nahezu unsichtbar zu machen? Wie oft hatte sie sich zu Hause in Baliour Manor hinter ihrer willensstarken Mutter versteckt? Und was war der Grund? Tat sie es nur aus Scham?
Er hatte sie verwirrt. Er schien bis in ihr Innerstes zu sehen. Es gab nichts, dessen sie sich schämen musste - aber diese Überreaktion war wirklich lächerlich. Er kannte sie nicht einmal, so wenig wie sie ihn.
Und das war auch gut so.
So sollte es bleiben.
Innerhalb von Sekunden hatte sie die Terrasse überquert und war in den Garten geeilt, genoss die Dunkelheit, die Einsamkeit, die Stille der Nacht.
Sie lief an Terrassen und Blumenbeeten vorbei, an raschelnden Bäumen, ging zu dem kleinen Pavillon, der zuerst ihre Aufmerksamkeit erregt hatte, während über ihr Wolkenfetzen den Mond verbargen.
Welch seltsame kleine Person, dachte Derek. Aber zu seiner Verwunderung war die bezaubernde Blondine im Nu in der Menge verschwunden. Dass Frauen vor ihm davonliefen, war nicht gerade die Reaktion, die er gewohnt war.
Doch für den Augenblick schob er den Gedanken an das geheimnisvolle Mädchen beiseite. Lady Amherst schmiegte sich an ihn und verlangte nach seiner Beachtung.
„Guten Abend, Major", flüsterte sie ihm ins Ohr. „Sie sehen -kräftig aus."
„Nun, danke, meine Liebe. Ich fühle mich auch voller Kraft", murmelte er und ließ einen Blick über ihre wohlgeformte Gestalt gleiten. Sie kicherte, und Derek beugte sich hinunter, um einen Kuss auf die Wange zu empfangen.
Hinter der goldenen Halbmaske sah sie ihn verzückt an. Fast sah es aus, als lechzte sie nach ihm.
„Nun, was stellen Sie heute dar?", fragte er, hob die Hand der eleganten jungen Witwe und trat einen Schritt zurück, um ihr Kostüm zu begutachten. Es war ein leichtes helles Gewand mit tiefem Ausschnitt, das ihre schönsten Attraktionen gezielt zur Wirkung brachten.
„Was meinen Sie?", rief sie und deutete auf den hohen, gebogenen Stab, den sie in der Hand hielt.
Derek zuckte die Achseln.
„Ich bin eine Schäferin, Sie Dummkopf."
„Ich sehe keine Schafe."
„Eines habe ich mitgebracht, ein Spielzeug, aber ich hatte keine Lust mehr, es den ganzen Abend mit mir herumzutragen."
„Das hier können Sie ebenfalls weglegen." Er nahm ihr den langen Stab ab und lehnte ihn gegen eine Säule. Danach beugte er sich vor und flüsterte ihr ins Ohr. „Ich hätte einen anderen Stab, mit dem Sie spielen können."
Sie unterdrückte ein Lachen, und ihr hübsches Gesicht wurde rot unter dem weißen Puder. „Sie sind so sündhaft."
„Deshalb lieben Sie mich."
„Sie sind herzlos, Major."
„Tanzen Sie mit mir", befahl er und nahm ihre beiden Hände.
„Nein, warten Sie. Ich habe eine bessere Idee." Mit einem verführerischen Lächeln winkte sie ihn zu sich.
Derek hob interessiert eine Braue. Er beugte sich vor und hörte, was sie ihm ins Ohr flüsterte.
„Ah ja. Gute Idee", murmelte er.
„Ich dachte mir, dass Ihnen das gefällt." Sie legte eine Hand auf seine Schulter und sprach wieder leise in sein Ohr, diesmal stupste sie mit der Zungenspitze sein Ohrläppchen an, als sie fertig war.
Derek erschauerte. „Wann?"
„Jetzt, Dummerchen. Sie gehen zuerst", fügte sie kaum vernehmbar hinzu. „Ich komme in ein paar Minuten nach. Auf diese Weise wird niemand bemerken, dass wir fort sind."
„Oh, man wird es gewiss bemerken", versicherte er, doch sie warf den Kopf zurück.
„Das ist mir egal. Sollen sie reden."
Derek lächelte, belustigt von ihrer kühnen Unabhängigkeit.
„Gehen Sie", drängte sie, offenbar begierig auf die privaten Lektionen in der fernöstlichen Kunst der Liebe.
Nichts lag ihm ferner, als eine Countess warten zu lassen. Nur zu gern gehorchte Derek ihr, verneigte sich diskret und zog sich zurück.
Er ging hinaus auf die Terrasse, blieb dort kurz stehen, sah sich um und ging dann die wenigen flachen Stufen zu dem Kiesweg hinunter, der rechts und links von kunstvoll geschnittenen Büschen gesäumt wurde. Von dort aus begab er sich zu dem Gartenpavillon, den seine neueste Geliebte als Treffpunkt für
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