058 - Gänsehaut
hören zu können.
»Plötzlich tauchte das Gesicht einer Frau auf. Ja, eine bleiche unheimliche Frau starrte mich an und sagte: Du wirst es bereuen, mich betrachtet zu haben. Dann zuckten Blitze aus ihren Augen. Ich – ich konnte auf einmal nichts mehr sehen. Mein Gott!«
»Können Sie die Frau beschreiben?«, fragte Dorian auf Italienisch.
»Sie war bleich … und schrecklich.«
»Und weiter?«
»Das ist alles. An mehr erinnere ich mich nicht.«
»Vielleicht war es die Geisterfrau, die wir schon bei der Projektion der ersten Szenen beobachtet haben«, meinte Jeff Parker.
»Der Mann muss sofort in eine Spezialklinik gebracht werden«, drängte der Arzt. »Zwei Mann sollen ihn stützen und ins Freie führen. Ich rufe per Telefon die Ambulanz.«
Der Tonmeister und ein anderer Cutter brachten den Verunglückten hinaus.
Lazzerini ließ sich auf einen Stuhl fallen, holte den Flachmann hervor und nahm einen kräftigen Zug.
»Hölle und Verdammnis!«, fluchte er. »Ich glaube, ich drehe noch durch.«
Jeff Parker ließ die Arme hängen. »Erst der Mann am Projektor, dann Pantani und jetzt noch ein Cutter. Die armen Teufel! Wie soll es weitergehen? Wenn wir nicht von uns aus die Dreharbeiten abbrechen, macht uns bestimmt die Polizei den Laden zu. Es ist aus.«
»Ich hätte gern einmal den Streifen, gesehen, den der Cutter zuletzt hat durchlaufen lassen«, sagte Dorian.
»Ich wage mich da nicht ran.« Der Cutter, der bei ihnen im Schneideraum geblieben war, hob abwehrend die Hände. »Ich lasse mich gern hinauswerfen, aber blind werden will ich nicht.«
»Ich mache das.« Giampaolo Lazzerini kam herüber und fingerte an den Armaturen und Schaltern herum. Es gab ein schnappendes Geräusch, dann lief der Film ohne Ton zurück. Der Regisseur stoppte ihn und wandte sich an Dorian. »So, jetzt können wir uns die Szene anschauen. Ich möchte Sie aber darauf aufmerksam machen, dass weder ich noch Jeff Parker die Verantwortung für das übernehmen können, was Ihnen eventuell zustoßen könnte.«
Dorian nickte. »Falls Lichtblitze erscheinen, stellen Sie so schnell wie möglich aus!«
Sie konzentrierten sich auf die Mattscheibe. Lazzerini drückte einen Knopf. Zunächst erschien klar und deutlich das übliche Dschungel-Panorama, doch plötzlich zeichnete sich das Antlitz einer Geisterfrau ab. Es war jedoch so unscharf, dass Dorian nichts Genaues festhalten konnte. Gebannt standen er, Coco, Jeff und der Regisseur da und warteten auf den Augenblick, da Blitze aus ihren Augen schießen würden. Aber es ereignete sich nichts. Das Geistergesicht verwischte schließlich völlig: Danach lief die ziemlich nebensächliche Einstellung aus.
Coco blickte Dorian an. Er konnte sich ziemlich gut vorstellen, was jetzt ihren Geist beschäftigte. Die unheimliche Frau – war sie eine Dämonin? Sollte Coco sie etwa kennen? Oder handelte es sich um eine Phantasieerscheinung?
»Wenn es möglich ist, hätte ich gern noch die ersten Szenen gesehen, bei denen es zu den erwähnten Zwischenfällen gekommen ist«, sagte Dorian zu Parker.
»Wir haben nur ein Drittel retten können.«
»Das genügt vielleicht.«
Ein Kameraassistent holte die Rolle mit den verhängnisvollen Aufnahmen. Der Einfachheit halber wurde der Zelluloidstreifen gleich in den Schneideapparat eingelegt. Gespannt verfolgten die Anwesenden, wie die doppelbelichteten Szenen durchliefen; nur ein Teil der Schauspieler war gegangen, um frische Luft zu schnappen und sich von den jüngsten Vorfällen zu erholen. Parker blickte ihnen kurz nach und kräuselte die Stirn. Er wusste, dass es von nun an noch mehr Ärger geben würde, denn die Leute waren verunsichert, schockiert, vom Grauen gepackt.
An den Doppelbelichtungen hatte sich nichts geändert. Schweigend betrachteten Dorian und Coco, was da vor ihren Augen abspulte.
Als das Antlitz der Geisterfrau auftauchte, rief Coco: »Stopp, bitte!«
Lazzerini hielt den Film an. Im nächsten Moment stießen er und Parker verdutzte Laute aus, denn das undeutliche Gesicht der Geisterfrau bewegte sich weiterhin auf der Mattscheibe. Ihre Lippen öffneten sich und sie redete in einer völlig unbekannten Sprache. Kurz darauf flirrten schmutzige und grelle Farbmuster über das Bild. Das Gesicht wurde kleiner. Bald hatte die unheimliche Erscheinung eine Gestalt, und sie vollführte rhythmische Gesten, zeigte einen ganz und gar fremdartigen, grotesk wirkenden Tanz.
»Stellen Sie den Ton lauter!«, verlangte Jeff.
Lazzerini kam seinem
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