058 - Gänsehaut
unkontrollierten magischen Effekten. Deshalb mussten der Vorführer sterben und der arme Claudio Pantani, deshalb erblindete der Cutter. Dort drüben liegt ein zerquetschter Mensch, und es wird weitere Opfer geben. Tanaka und seine Kumpane können nicht mehr aus dem Teufelskreis heraus. Sie brauchen immer mehr Theriak und sorgen für eine Eskalation des Terrors.«
In diesem Augenblick richtete sich einer der Japaner auf. Röchelnd griff er sich an die Kehle. Weder Hajime Tanaka noch die anderen drei kamen ihm zu Hilfe. Jeff Parker und Dorian aber liefen zu ihm hinüber und kümmerten sich um ihn. Seine Augen waren unnatürlich geweitet. Seine Gesichtsfarbe erinnerte an das weißliche Grau von Hefeteig. Er zuckte ein paar Mal zusammen, dann riss er sich los, stürzte ein paar Schritte auf Marina Ferrera zu und hob den Arm. Sein zitternder Finger wies auf sie. Sie schrie markerschütternd.
Bevor irgendjemand etwas unternehmen konnte, brach der Japaner zusammen. Er schlug ein- oder zweimal mit den Beinen um sich, danach lag er still da, das Gesicht dem Fußboden zugewandt.
Dorian kniete neben ihm nieder, untersuchte ihn kurz und sagte: »Er ist tot. Kollaps.«
Die Schauerwesen und fliegenden Gegenstände im Studio erzeugten einen ohrenbetäubenden Lärm. Dunkler wurde es, und von draußen wurde mit wachsender Heftigkeit gegen die Mauer gedrückt. Die Lage spitzte sich zu.
Etwas stieß von oben auf das Wagendach herab – ob es nun ein Dämonenkopf, ein Totenschädel oder ein zusammengeknülltes, schwebendes Kostüm war, ließ sich nicht sagen. Im nächsten Moment zeichnete sich eine tiefe Beule ab. Coco hatte gerade rechtzeitig den Kopf eingezogen.
»Das ist ja unfassbar!«, rief der Fahrer verblüfft aus. »So was muss man erleben, um es glauben zu können.«
Der Fotograf packte seinen Apparat mit zitternden Fingern weg. »Ich wäre froh gewesen, wenn es nicht so weit gekommen wäre. Was können wir bloß tun, um die Scheusale da loszuwerden?«
»Schneller fahren«, erwiderte Coco.
Der Reporter am Lenkrad trat das Gaspedal durch. Der Motor des Fiats heulte auf, und das Fahrzeug machte einen Satz. Der Wagen rumpelte über den Fahrweg; die Federung wurde arg ramponiert. Schließlich erreichten sie eine asphaltierte Straße.
Coco sah, wie die Tachonadel auf hundertfünfzig, dann auf hundertsechzig stieg. Sie drehte sich um und blickte durch die rückwärtige Scheibe. Die Verfolger waren ein oder zwei Meter hinter dem Heck und machten abscheuliche Verrenkungen. Die Knochengerüste schüttelten ihre dürren Fäuste, die fliegenden Kleidungsstücke gestikulierten gleichfalls wild. Grimassen, wie sie die Dämonenschädel schnitten, hatte der ebenfalls nach hinten schauende Fotograf in seinem Leben bestimmt noch nicht gesehen.
»Das ist die Apokalypse«, versetzte er düster und mit heiserer Stimme.
»Rede nicht, sondern knipse!«, forderte ihn sein Kollege auf. »Worauf wartest du denn? So eine Gelegenheit bietet sich nie wieder.«
Dem Fotografen war anzumerken, dass er im Augenblick wenig Lust dazu hatte, aber er kramte trotzdem die Kamera wieder hervor und schob das dicke Objektiv über die Sitzlehne. Schwitzend betätigte er den Auslöser.
Coco verfolgte, wie die Gegner ein wenig hinter ihnen zurückblieben, doch noch gaben sie nicht auf. Aber plötzlich erstarrten sie gleichsam in der Luft, und ihre Gestalten wurden zusehends kleiner; sie hatten die Partie verloren.
Der Mann am Steuer lachte triumphierend. Er grinste noch, als sie aus purem Zufall auf eine mit Blaulicht daherbrausende Streife trafen. Eigentlich hatten die Carabinieri aus dem Streifenwagen keinerlei Grund, mit Blaulicht zu fahren, aber in Italien war dies auch außerhalb von Einsätzen üblich.
Die beiden Beamten hörten sich den Bericht der Reporter an. Zum Glück kannten sie sie, sonst hätten sie die Geschichte mit dem fliegenden Studio und den angreifenden Gräuelwesen wohl für das Hirngespinst zweier Verrückter gehalten.
Der Streifenführer kehrte zum offenen Wagenschlag zurück, nahm das Mikrofon der Funkanlage in die Hand und drückte irgendeine Taste an dem Gerät. Nachdem er seine Meldung durchgegeben hatte, erklärte er: »Einsatzkommandos der Stadtpolizei und der Feuerwehr sind verständigt. Auch die Küstenwacht ist unterrichtet worden. Kommen Sie, wir fahren zur Küste!«
Der dunkelblaue Alfa Romeo der Carabinieri rollte voraus. Skeptisch blickte Coco Zamis aus dem Seitenfenster. Sie glaubte noch nicht daran, dass sich
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