058 - Gänsehaut
zurück und schüttelte den Kopf. »Nein. Es ist ratsamer, dass du das tust. Du bist kleiner als ich und kannst dich besser durch die Fensteröffnung zwängen. Außerdem will ich hier meinen Mann stehen. Die Aufgabe, Hilfe von außen zu rufen, kommt dir zu.«
Coco wusste, dass es keinen Zweck hatte, ihn vom Gegenteil überzeugen zu wollen. Rasch setzte sie Hände und Füße auf die Sprossen und kletterte empor. Dorian hatte ihr die Dämonenbanner zugesteckt. Jetzt bückte er sich und hob wieder die kurze Fackel auf, mit der er die Feinde abwehren wollte.
Coco hatte ein schmales Fenster erreicht. Mit schwarzer Kreide malte sie Zeichen auf das Glas und versprengte Weihwasser aus einem kleinen Flakon. Unablässig murmelte sie Beschwörungsformeln, aber der Versuch, die Scheibe einzuschlagen, scheiterte.
Sie hatte bereits den Riegel aufschieben wollen, aber er war wie festgeschweißt; sie probierte es noch einmal – wieder ergebnislos. Coco hantierte mit den Silbergegenständen und der gnostischen Gemme und wandte auch ihre magischen Fähigkeiten an, um das Fenster aufzubrechen; doch der Gegenzauber war zu stark. Verzweifelt sah sie nach unten.
Dorians Gesicht war angespannt. Er schaute zu ihr herauf. In seinem Rücken prasselte das Feuer. Der Donner grollte immer lauter, und immer mehr teuflische Lichter flackerten ringsumher. Falls das Studio nicht durch die Feuersbrunst zum Einsturz gebracht wurde, so würden die unsichtbaren Kräfte die Mauern eindrücken.
Coco blickte zur Decke hinauf. Und da bemerkte sie plötzlich einen schmalen Streifen Helligkeit, der von außen hereinzufallen schien.
»Rian, das Dach!«, rief sie, dann kletterte sie bis zur äußersten Spitze der Stahlleiter empor.
Dorian schrie ihr etwas zu, doch sie verstand es nicht.
Ja, das Dach hatte sich wirklich von dem tragenden Mauerwerk gelöst. Genügte der Zwischenraum, um hindurchzukrabbeln? Was erwartete sie? Der Sturz in den Tod?
Sie wusste es nicht, aber sie hatte sich geschworen, die Chance zu nutzen. Mit dem Ausdruck äußerster Konzentration richtete sie sich auf der obersten Sprosse auf. Fast reichte sie mit den Fingern bis an den Spalt heran, durch den die frische Morgenluft pfiff. Coco war, als wechsle sie von einer Welt in die andere über – von der Hölle ins Paradies; und fast stimmte der Vergleich ja auch.
Die Leiter bewegte sich, rückte von der Wand ab. Coco blickte über ihre Schuhspitzen in die Tiefe und erkannte, dass Dorian keinerlei Schuld an dem Zwischenfall trug. Es waren die scheußlichen Dämonenköpfe, die Kostüme und Knochengerüste, die dort unten angerückt kamen und den Dämonenkiller belagerten. Sie setzten ihm arg zu. Während er sich erbost mit der Fackel verteidigte, flogen einige höher und zerrten an der Leiter. Natürlich hatten sie erkannt, was Coco vorhatte.
Coco sprang.
Ihre Finger klammerten sich mit aller Macht an dem brüchigen Mauerwerk fest. Für Sekunden baumelte sie an der Innenwand, dann zog sie sich hoch und erklomm den Mauersims unterhalb des schwebenden Daches. Vorerst war sie vor einem Absturz sicher – doch vertrackt war ihre Lage noch immer, denn jeden Augenblick konnte das bebende Dach auf sie herunterkrachen. Die Mächte der Finsternis ließen bestimmt nicht zu, dass sie aus diesem Inferno ausbrach.
Außerdem schwirrten soeben drei oder vier tückisch grinsende Satansschädel heran und schnappten böse mit den Mäulern.
Coco blickte ins Freie. Sie konnte ein Stück blauen Himmels sehen. Es war Morgen, und die Sonne glitzerte freundlich. Coco erwartete, unten das harte Pflaster der Cinecitta zu sehen; sie hatte sich getäuscht: eine spiegelnde Wasseroberfläche lag unter ihr.
Das Studio war tatsächlich durch die Lüfte geflogen und in unmittelbarer Nähe des Meeres gelandet – auf einem Felsen. Coco schätzte, dass die Distanz bis zur Oberfläche der Fluten mindestens zehn Meter betrug. Vielleicht war das Wasser nicht tief genug; vielleicht stieß sie auf Gestein, brach sich die Knochen, ertrank; aber im Sprung lag ihre einzige Chance. Darum stieß sie sich ab.
Die Schnelligkeit des Falles schnitt ihr nahezu die Luft ab. Sie vernahm noch, wie das Dach mit Donnerhall auf die Wände des Studios krachte, dann tauchte sie unter.
Die Meeresfluten schlugen über ihr zusammen. Schmerz wogte durch ihren Körper. Sie war ungünstig aufgeprallt und hatte auch ein wenig Wasser geschluckt. Es schmeckte scheußlich. Coco paddelte verzweifelt mit den Armen und Beinen, um nicht mit
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