0581 - Die Geistermutanten
Eigenheit aller acht Synthos: Sie kannten keine Furcht und waren bereit, selbst dem unsinnigsten Befehl widerspruchslos zu gehorchen.
Dieser letztere Zug war es, der Rock Looman schließlich auf die Spur brachte. Am vergangenen Tag hatte er eine Meldung aus Melbourne, Australien, erhalten, wonach ein achtjähriges Mädchen auf nahezu wunderbare Weise um Haaresbreite vor der heranbrausenden Metallmasse eines Pneumozugs gerettet worden war. Die Einzelheiten der Rettungsaktion waren es, die Rock Looman den ersten Fingerzeig gegeben hatten.
Pneumozüge bewegten sich durch unterirdische Tunnels von kreisförmigem Querschnitt. Sie wurden gewöhnlich für den Vorortverkehr größerer Städte benützt, für den Langstreckenverkehr gab es billigere Mittel. Die Tunnels waren luftdicht, und ihre Wandungen so berechnet, daß sie mühelos Drücken bis zu mehreren tausend Atmosphären widerstanden.
Der Zug wurde in Bewegung gesetzt, indem der Luftdruck in Fahrtrichtung verringert, in entgegengesetzter Richtung erhöht wurde. Der Druckunterschied bewegte den Zug durch den Tunnel wie die Kohlensäure im Sekt den Korken durch den Flaschenhals. Geschwindigkeiten bis zu eintausend Kilometern pro Stunde waren leicht zu erzielen. Von den Bahnhöfen, auf deren Bahnsteigen naturgemäß reguläre Umweltbedingungen herrschen mußten, war der Tunnel durch einfache Schleusen getrennt. Die Regulierung des Druckunterschieds wurde so bewerkstelligt, daß in Fahrtrichtung kurz vor der Einfahrt in einen Bahnhof Normaldruck herrschte. Sobald dieser hergestellt war, öffnete sich die Schleuse und ließ den Zug in den Bahnhof hineingleiten. Bei der Abfahrt bewegte sich der Zug zunächst mit Hilfe seines eigenen, schwachen Motors, bis er die Ausfahrtschleuse passiert hatte. Danach wurde der zur Beschleunigung notwendige Druckunterschied wiederhergestellt, und der Zug befand sich auf dem Weg zur nächsten Haltestelle.
Auf einem der Pneumo-Bahnhöfe in Melbourne war, wie Rock Looman erfuhr, ein Mädchen kurz vor der Einfahrt des Zuges auf die etwa einen halben Meter unterhalb des Bahnsteigniveaus liegende Gleitebene gesprungen, gefallen oder gestoßen worden. Die Hinweise sprachen für einen Sprung, denn obwohl sich dem Kind Hunderte von helfenden Händen entgegenstreckten, raffte es sich auf und lief in Richtung der Tunnelmündung davon. Die Schleuse hatte sich schon geöffnet, und das Brausen, das die Ankunft des Zuges ankündigte, war deutlich zu hören. Der Zug bremste, da er mit Antigrav-Stabilisatoren ausgerüstet war, mit höchsten Werten, was andererseits bedeutete, daß er sich kurz vor Durchfahren der Schleuse noch mit hoher Geschwindigkeit bewegte. Ein Schrei des Entsetzens gellte durch die unterirdischen Hallen des Bahnhofs, als das Kind in der Finsternis des Stollens verschwand.
Da geschah das Unglaubliche.
Ein junger Mann sprang auf das Gleitbett hinab und eilte hinter dem Mädchen her. Mit gewaltigen Sprüngen verschwand er im Dunkel des Tunnels.
Atemloses Schweigen senkte sich über den Bahnhof, nur das immer lauter werdende Brausen des Pneumozugs war zu hören.
Jedermann erwartete, in der nächsten Sekunde den häßlichen, dumpfen Krach des Aufpralls zu hören und die aerodynamisch geformte Spitze des Zuges, von den Überresten der Unglücklichen verunstaltet, aus der Schleuse gleiten zu sehen.
Es kam anders.
Aus dem Tunnel war plötzlich ein lautes, stöhnendes Geräusch zu hören - wie von einer Maschine, die gewaltsam gedrosselt wurde. Sekundenbruchteile später kam der junge Mann wieder zum Vorschein. Auf den Armen trug er das Mädchen. Er sprang auf den Bahnsteig hinauf und übergab das vor Schreck reglose Kind dem ersten Paar Händen, das sich ihm entgegenstreckte.
Danach war er spurlos verschwunden.
Lange Zeit später glitt der Zug unter eigener Kraft in den Bahnhof. Der verdutzte Fahrer sagte aus, er sei von einer unsichtbaren Kraft kurz vor der Einfahrt angehalten worden.
Eines der Aggregate, die zur Absorption des Bremsandrucks verwendet wurden, war durchgebrannt, aber der Andruck im Innern des Zuges war trotzdem nicht bis auf lebensgefährliche Werte gestiegen. Über den Ursprung der unheimlichen Kraft konnte er nichts aussagen, und die Leute, die zur Untersuchung des Vorfalls in den Tunnel hineingeschickt wurden, kehrten nach einstündiger Suche ebenso schlau wieder zurück, wie sie hineingegangen waren.
Es gab zwei Augenzeugen - zwei unter Hunderten! - die im Hintergrund der Szene eine weitere Beobachtung
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