0588 - AQUARIUS - Dämon aus der Tiefe
dem Mann sitzen. Dann entzog er dem Toten behutsam seine Hand, als wolle er ihn nicht in seiner Ruhe stören…
***
Eine Viertelstunde später schlich Zamorra durch das weit offenstehende Doppelportal ins Innere des Tempels der Sikhs. Doch diesmal war da kein melodisches Summen, das seinen Weg durch den Korridor zu dem Wandbild begleitete, das deh grausamen Fischgott Agbar Nabob darstellte. Diesmal war da nur Stille und Dunkelheit.
Zamorra versuchte, sein schmerzhaftes Stöhnen zu unterdrücken. Seine Wunden machten ihm noch zu schaffen. Er war ein Auserwählter und hatte von der Quelle des Lebens getrunken. Verletzungen heilten dadurch wesentlich schneller als bei Normalsterblichen. Aber nicht schnell genug, daß ihn die Schnittwunden, die er nur notdürftig hatte verbinden können, nicht beeinträchtigten. Er mußte also um so vorsichtiger sein.
An Zamorras Magnetplatte am Gürtel haftete der eine, hinter dem Hosenbund steckte der zweite Dynastie-Blaster; er hatte die Waffen unten in der Bucht wieder an sich genommen. An der Kette um den Hals trug er Merlins Stern. Was auch immer ihn in Agbar Nabobs Reich unter dem Meer erwarten mochte, er würde nicht wehrlos in die Schlacht ziehen!
Aber erst mal mußte er einen Weg nach Narbadaja finden, zu jener geheimnisvollen Stadt in den Tiefen des Ozeans, deren Erbauer der Fischdämon war.
Zamorra blieb vor der Nische stehen, in der sich die Wandschrift befand. Der sterbende Hohepriester hatte gesagt, daß das Bildnis das Tor zu Agbar Nabob war. Vermutlich bedeutete das, daß sich dahinter ein Korridor oder ein Dimensionsportal befand.
Doch wie ließ sich die verdammte Geheimtür öffnen, die den Zugang versperrte?
Der Dämonenjäger entzündete eine der Wandfackeln, beugte sich dann damit vor und betrachtete die Bildfolge im flackernden Licht genauer, ließ seine Fingerspitzen auf der Suche nach verborgenen Mechanismen über den Stein wandern. Irgendwo mußte sich ein Kontakt befinden, mit dessen Hilfe man das Tor zu Agbar Nabobs Reich öffnen konnte, und er mußte ihn so schnell wie möglich finden.
Denn jede Sekunde, die verstrich, brachte Nicole vermutlich dem Tode näher. Das hieß natürlich, wenn sie überhaupt noch am Leben war…
»Na, komm schon«, murmelte er drängend, während er das Bild systematisch, Stück für Stück, abtastete. »Los! Mach schon, du Mistding! Geh auf!«
Und tatsächlich - plötzlich erklang ein dumpfes, knirschendes Rumpeln. Es schien aus dem Innern des Mauerwerks zu dringen und wurde gefolgt von einem schleifenden, schrillen Scharren, als Stein über Stein kratzte.
Die Wand vor Zamorra glitt ruckend in die Höhe!
Dahinter kam ein mannshoher Gang zum Vorschein, aus dem ein Geruch von Algen, Moder und Salz in den Korridor wehte. Grob in den Fels gehauene Stufen führten steil in die Schwärze hinab.
Der Einstieg zur Unterwelt! Zamorra hatte ihn gefunden!
Er wußte, daß er keine Zeit zu verlieren hatte, wenn er Nicole retten wollte. Er trat in den dunklen Gang und folgte den Stufen in die Tiefe…
***
Der Abstieg in Agbar Nabobs Reich schien eine halbe Ewigkeit zu dauern. Doch in Wirklichkeit waren seit dem Moment, als Zamorra in den Geheimgang hinter dem Bildnis des Dämons getreten war, noch keine zehn Minuten vergangen. Es war die Angst um Nicole, die jede Sekunde zu einer Stunde und jede Minute zu einem Jahr dehnte. Die Furcht, sie niemals wieder in den Arm nehmen, sie nie wieder lachen hören zu können.
Er wollte sie nicht verlieren!
So schnell, wie es seine Verletzungen zuließen und er es riskieren konnte, ohne auf den teils moosbewachsenen Stufen auszurutschen und zu stürzen, eilte er hinab in die Tiefe. Er hatte keine Ahnung, wie weit unter der Erde -oder unter dem Meer? - er sich bereits befand, doch er hoffte, daß er bald am Ziel sein würde.
Der Gang war kaum mehr als eine in den Felsen gehauene Röhre, von deren niedriger Decke ununterbrochen Sickerwasser tropfte. Er war wie eine riesige Wendeltreppe angelegt und führte in immer kleiner werdenden Kreisen in die Tiefe. Wie eine Spirale, die sich zum Ende hin verjüngte. An den kantigen Wänden hatten sich Algen und Moose breitgemacht, die als Nahrung und Heimstatt für schätzungsweise eine Milliarde Insekten herhalten mußten; wohin Zamorra auch blickte, überall wimmelte es von Leben.
Schaben. Käfer. Schnecken. Würmer…
Hier unten gab es genug, wovor man sich ekeln konnte!
Allerdings nahm die Ungezieferpopulation beständig ab, je weiter Zamorra in
Weitere Kostenlose Bücher