0589 - Die Kugelköpfe
aus der anderen zu lösen. Daß dieses Wesen lebte, wußte sie. In seinem Körper herrschte eine leichte Vibration, die sich auch ausbreitete, den Arm durchfuhr, anschließend die Hand und ihre Schwingungen übertrug.
Auch Helens Finger begannen zu zittern. In diesem unförmigen Klumpen schien ein Motor zu stecken, der von Sekunde zu Sekunde mehr Kraft bekam, so daß er es schaffte, das Ding aus dem Körper auch äußerlich zu verändern.
Was sich in den folgenden Minuten in der Wohnung abspielte, war ungeheuer.
Das Ding blähte sich auf.
Anders als ein Luftballon, bei dem die Haut immer dünner wurde.
Bei diesem Gegenstand blieb sie so dick, widerstandsfähig und gleichzeitig elastisch.
Innerhalb weniger Sekunden reichte es in seiner Höhe weit über den Kofferraumrand hinaus und breitete sich so aus, daß es das gesamte Rechteck ausfüllte.
Noch immer hielt Helen die Hand fest. Sie stand da, schaute auf den gelben, wachsenden Gegenstand und erinnerte sich in den Tiefen des Gehirns an ein Märchen, das ihre Großmutter früher einmal erzählt hatte. Die Geschichte vom süßen Brei, die von einem armen Mädchen handelte, das einen Topf geschenkt bekam, der ständig Brei kochte, bis man einen bestimmten Satz rief. Dann erst hörte der Topf auf zu kochen.
Im Märchen hatte das Mädchen den Satz vergessen, und Helen kam sich so ähnlich vor wie diese Person, denn auch sie schaffte es nicht, das Wachstum zu stoppen.
Das Ding quoll über den Koffer hinweg. Es blähte sich ballonartig auf, wuchs dabei noch weiter, innerlich und äußerlich. Helen war gezwungen, zurückzuweichen. Sie konnte genau zwei Schritte gehen und auch den Arm in die entsprechende Länge ziehen, dann war Schluß, denn die Gegenkraft besaß einfach zuviel Stärke.
Helen blieb stehen.
Ihr Gesichtsausdruck hatte sich in den letzten Minuten verändert.
Die Gleichgültigkeit war daraus gewichen. Jetzt erfaßten sie erste Anzeichen von Panik, denn sie wußte genau, daß etwas Furchtbares geschehen konnte, wenn die Masse nicht zur Ruhe kam.
Dann war sie durch nichts zu stoppen, weder durch eine Tür noch durch Wände.
Sie quoll, sie wuchs, sie dehnte sich aus, und sie schluckte den ersten Gegenstand.
Es war der Koffer, aus dem die Masse gekrochen war. Bisher hatte er sie begleitet, nun war er völlig wertlos geworden und wurde regelrecht vertilgt.
Helen konnte zusehen, wie die Masse über den Holzkoffer hinwegwalzte und ihn schmatzend verschlang. Er löste sich möglicherweise auf, das war nicht genau zu erkennen, weil die Masse einfach eine zu große Dichte aufwies und nicht durchlässig war.
Und weiter ging es. Es gab keinen Stopp mehr. Nichts konnte das unheimliche Geschehen noch aufhalten. Der magische Teig wallte vor Helen Taylor wie eine wabernde Wand in die Höhe. Schon jetzt nahm er ihr den Blick auf das Fenster.
Was dies wiederum bedeutete, lag auf der Hand. Wenn sich die Masse noch weiter ausdehnte, würde sie nach dem Koffer das nächste Opfer sein. Eine grauenhafte Vorstellung, mit der sie sich abzufinden hatte, es aber nicht wollte und nun von sich aus versuchte, gegen den Schrecken anzukämpfen. Sie zerrte noch einmal an der Klaue und stemmte dabei ihre Hacken in den Boden.
Nein, gegen den Teppich, was ein Fehler war, denn sie hatte nicht damit gerechnet, daß sie rutschen würde. Erst als sie nach hinten kippte, wurde es ihr bewußt, nur berührte sie nicht den Boden, die Kraft der Klaue hielt sie in einer Schräglage fest.
Trotz der schlimmen Situation kam ihr diese Lage lächerlich vor.
Sie war zurückgedrückt, konnte sich nicht wehren und bekam dafür den Druck mit, der sich zu einem starken Zug erweiterte und dafür sorgte, daß sie wieder nach vorn kippte und stand.
Helens Gesicht verzerrte sich, denn sie wußte, was folgen würde.
Der Druck hatte nicht nachgelassen, er zerrte und zog sie weiter vor, und die verfluchte Masse wuchs weiter. Klein wirkte die Klaue, die sie festhielt. Eisern und trotzdem weich umklammerte sie Helens Hand, die keine Chance mehr sah, sich zu befreien.
Dann schrie sie um Hilfe. Der Schall wurde von der Wand regelrecht aufgesaugt, so daß ihr Rufen draußen kaum noch zu hören war.
Was das Ding aus dem Koffer auch tat, es machte alles perfekt.
Selbst die Schreie schluckte es, die verstummten, als Helen Taylor zum erstenmal mit dem Gesicht die widerliche Masse berührten.
Weich und gleichzeitig kalt umschlang sie ihre Haut. Sie wollte den Kopf zurückdrücken, was ihr nicht mehr gelang.
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