0595 - Radio-Grauen
hatten wir den Moderator in die Zange genommen.
»Sie nehmen also Stimmen auf«, sagte ich.
»So ist es.«
»Stimmen von Toten?«
»Ja, sicher.« Er nickte heftig.
»Seit wann können Tote reden?« fragte Suko.
Max Schreiber zuckte zusammen. Dann bewegte er seine Hände und streichelte den Recorder. »Sie sind zwar äußerlich tot, ihre Körper schon zu Staub zerfallen, aber sie leben trotzdem. Sie sind nur in eine andere Zustandsform gewechselt, verstehen Sie?«
»Klar, es sind Geister.«
»Genau, Geister. Das ist der richtige Ausdruck. Sie sind auch irgendwie wunderbar, wenn sie es schaffen, die Grenzen zu überwinden und mit uns Kontakt aufzunehmen. Es sind wunderbare Geschöpfe, und sie haben für uns Zurückgebliebene Botschaften.«
»Aufforderungen zum Selbstmord?«
Er schüttelte den Kopf. »Nein, so dürfen Sie das nicht sehen. Die Toten haben es den Lebenden freigestellt, in ihre Welt zu gelangen. Doch einige tun es anscheinend.«
»Wie Mr. Taylor.«
»Ich war dabei. Er nahm das Messer und tötete sich. Er wollte zu seiner Frau…«
»So ungefähr«, sagte Suko und deutete auf den Recorder. »Eine Frage mal, Max, haben Sie schon Stimmen von Toten auf Ihrem Band? Haben die Geister mit Ihnen gesprochen?«
»Ja, ich glaube, das es so ist.«
»Und Sie haben sich bewußt diesen Friedhof ausgesucht, um mit ihnen zu reden.«
»Richtig.«
»Dann lassen Sie mal hören.«
Er schaute uns an. Sein Mund zucke. Max sah wie jemand aus, der nicht wollte. »Nein, das kann ich nicht. Ihr solltet heute abend meine Sendung hören. Ich habe die Erlaubnis dazu bekommen.«
»Das wissen wir«, sagte ich.
Er bekam große Augen. »Seid ihr Bullen?«
»Haben wir vier Beine?« fragte Suko.
Er lachte. »Nein, aber ihr seht so aus. Okay, ihr seid Bullen. Was wollt ihr von mir? Ich habe niemanden umgebracht. Es war jedesmal Selbstmord. Sie wollen ja die Stimmen der Toten hören, das dürft ihr nicht vergessen. Sie wollen Kontakt mit ihnen aufnehmen.«
»Und wir möchten gern hören, ob sich jemand bei Ihnen gemeldet hat.«
»Nein, Mister, nein.« Max schreckte zurück. Er preßte das Gerät an sich, als wäre es das wertvollste Stück der Welt. »Das kann ich nicht zulassen. Nein, das will ich auch nicht. Niemand darf es hören, nicht vor heute abend, versteht ihr das?«
»Überhaupt nicht«, sagte Suko und ging auf den Knaben zu.
Max Schreiber bekam es mit der Angst zu tun. Er stand auf, wollte zur Tür, sah, daß ich ihm den Weg dorthin versperrte und zog sich bis an die Rückwand zurück.
Nach zwei Schritten hatte er sie schon erreicht und preßte sich mit dem Rücken gegen die graue Fläche.
Ich beobachtete ihn genau. Irgendwie hatte ich das Gefühl, einen Menschen vor mir zu haben, der nicht ganz richtig im Kopf war.
Sein Blick war mir einfach zu unstet. Er hielt den Recorder fest, als würde eine Mutter ihr Kind tragen!
Suko streckte ihm seinen Arm entgegen. »Komm, Max, leg ihn auf meine Hand.«
»Nein!« Er kreischte das Wort, hob die Arme, und es sah aus, als wollte er den Apparat aus dem Fenster werfen.
Suko war schneller. Mit einem geduckt angesetzten, tigerhaften Satz hatte er Max Schreiber erreicht und ihm das Gerät mit einer blitzschnellen Bewegung entrissen.
Max sah aus, als ob er versteinert wäre. Sein Gesicht veränderte sich, der Mund stand offen, die Augen malten sich übergroß hinter den Brillengläsern ab. »Das… das dürft ihr nicht tun, nein, das könnt ihr doch nicht!«
»Weshalb nicht?«
»Die Toten reden nur mit mir. Ich habe sie gerufen. Ich habe mich auf ihre Gräber gesetzt und…«
»Klar, Max«, sagte Suko und tätschelte die Wange des Moderators. »Das gleiche machen wir auch. Wir werden diese miese Leichenhalle verlassen, uns ins Freie begeben und uns dort einen schönen Platz aussuchen. Wie drei Freunde, die sich den Nachmittag vertreiben. Das ist doch was – oder nicht?«
»Ich warne euch«, sage er mit einer dumpf klingenden Stimme.
»Ich kann euch nur warnen.«
Darauf konnten wir keine Rücksicht nehmen. Wenn er tatsächlich die Stimmen von Toten aufgenommen hatte und sie abends über den Sender abspielte, konnte es noch in der Nacht leicht zu neuen Unglücken kommen. Das Risiko durften wir nicht eingehen. Auf die Fälle, wo, unabhängig von den Sendungen des Max, Stimmen sich des Radios bedient hatten, um Kontakt aufzunehmen, konnten wir zur Zeit noch nicht eingehen.
Ich war froh, die alte Leichenhalle verlassen zu können und in die grüne Düsternis des
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