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06 - Denn keiner ist ohne Schuld

06 - Denn keiner ist ohne Schuld

Titel: 06 - Denn keiner ist ohne Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
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sagen. Ich hoffe, du hast es genossen.«
    »O Gott, Deborah.«
    Er streckte die Arme nach ihr aus, konnte aber den Raum, der zwischen ihnen lag, nicht überbrücken. »Ich wollte dir doch nicht weh tun.«
    »Das kannst du aber gut verbergen.«
    »Es tut mir leid.«
    »Ja, hm. Es ist nun mal gesagt.«
    »Nein. Nicht alles.«
    Mit einer gewissen Verzweiflung suchte er nach Worten, die dieser Gratwanderung zwischen dem Bemühen, sie nicht noch tiefer zu verletzen, und dem Wunsch, selbst zu verstehen, gerecht wurden. »Ich finde, wenn Vater oder Mutter sein mehr bedeutet, als ein Kind in die Welt zu setzen, dann kann man diese Erfahrung mit jedem Kind machen - mit einem Kind, das man selbst geboren hat, mit einem, das man nur in seine Obhut nimmt, oder mit einem, das man adoptiert. Wenn es einem wirklich ums Elternsein geht und nicht lediglich darum, ein Kind zu produzieren. Wie ist das bei dir?«
    Sie antwortete nicht. Aber sie sah auch nicht weg. Er glaubte es wagen zu können, weiterzusprechen.
    »Ich glaube, viele Menschen setzen einfach Kinder in die Welt, ohne sich im geringsten zu überlegen, was diese Kinder im Laufe ihres Lebens alles von ihnen verlangen werden. Aber ein Kind großzuziehen verlangt seinen Preis. Und ihn zu zahlen muß man bereit sein. Man muß sich das ganze Erleben, die ganze Erfahrung wünschen. Nicht nur den Akt der Geburt, weil der einem das Gefühl gibt, vollständig zu sein.«
    Den Rest brauchte er gar nicht zu sagen: daß er diese Erfahrung der Elternschaft schon einmal gemacht hatte, mit ihr. Sie kannte ja die Fakten ihrer gemeinsamen Geschichte: Elf Jahre älter als sie, hatte er von dem Tag an, an dem er achtzehn Jahre alt geworden war, für sie Verantwortung übernommen. Der Mensch, der sie heute war, war großenteils durch seinen Einfluß entstanden. Die Tatsache, daß er ihr eine Art zweiter Vater gewesen war, war für ihre Ehe einerseits ein Segen, andererseits, und zum größeren Teil, ein Fluch.
    Jetzt baute er auf den positiven Einfluß seiner damaligen Vaterrolle und hoffte, es würde ihr gelingen, ihren Weg durch Angst und Zorn zu finden oder was sonst es war, das sich zwischen sie beide geschoben hatte; er hoffte, ihre gemeinsame Vergangenheit würde ihnen helfen, einen Weg in die Zukunft zu finden.
    »Deborah«, sagte er, »du brauchst keinem Menschen etwas zu beweisen. Niemandem. Und ganz gewiß nicht mir. Wenn es hier also darum gehen sollte, etwas zu beweisen, dann laß das um Himmels willen sein, ehe es dich vernichtet.«
    »Es geht nicht darum, etwas zu beweisen.«
    »Worum geht es denn?«
    »Es ist nur, daß - ich habe mir immer ausgemalt, wie es werden würde.«
    Ihre Unterlippe bebte. Sie drückte die Fingerspitzen darauf. »Ich hab mir vorgestellt, wie es in mir wachsen würde, wie ich seine Bewegungen spüren und wie ich deine Hand auf meinen Bauch legen würde. Damit du es auch spüren könntest. Wir würden uns gemeinsam überlegen, wie wir es nennen wollen, und wir würden ein Kinderzimmer einrichten. Und bei der Entbindung würdest du dabeisein. Es wäre so etwas wie ein Akt für die Ewigkeit, weil wir dieses - dieses kleine Wesen zusammen gezeugt hätten. Das ist es, was ich mir immer gewünscht habe.«
    »Aber das sind doch Hirngespinste, Deborah. Das ist es nicht, was bindet. Das Leben mit seinen Alltäglichkeiten schafft die Bindungen. Dies hier - was jetzt zwischen uns ist -, das ist die Bindung. Und wir sind die Ewigkeit.«
    Wieder hielt er ihr seine Hand hin. Diesmal nahm sie sie, auch wenn sie blieb, wo sie war. »Komm zu mir zurück«, sagte er. »Spring mit deinem Rucksack und deinen Kameras die Treppe hinauf und hinunter. Laß überall im Haus deine Fotos herumliegen. Mach zu laute Musik. Wirf deine Kleider in Häufchen auf den Boden. Sprich mit mir und streite mit mir und sei neugierig. Sei lebendig bis in deine Fingerspitzen. Ich möchte dich zurückhaben.«
    Sie begann zu weinen. »Ich weiß nicht mehr, wie das geht.«
    »Das glaube ich nicht. Es steckt doch in dir. Aber irgendwie - aus irgendeinem Grund - hat die Vorstellung von einem Kind das alles verdrängt. Warum, Deborah?«
    Sie sah zu Boden und schüttelte den Kopf. Ihre Finger, die seine Hand hielten, wurden schlaff. Ihrer beider Hände fielen herab. Und er erkannte, daß trotz all seiner guten Absichten und all seiner Worte etwas unausgesprochen geblieben war.

DER FALL WIRD WIEDER AUFGEROLLT

13
    Cotes Hall war nach bester viktorianischer Tradition ein Bau, der einzig aus Wetterfahnen,

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