Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
06 - Denn keiner ist ohne Schuld

06 - Denn keiner ist ohne Schuld

Titel: 06 - Denn keiner ist ohne Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
Vom Netzwerk:
schlüpfte aus ihrer Strumpfhose und legte sich neben ihm nieder und hob ihren Rock.
    »Mag, wir müssen...«
    »Ja, gleich, Nick. Nur noch einen Moment. Ja?«
    Sie schob ein Bein über seine Beine. Sie begann, ihn zu küssen, ihn zu liebkosen und zu streicheln, ohne ihre Hände zu gebrauchen.
    »Ist das schön?« flüsterte sie.
    Er hatte den Kopf zurückgeworfen. Seine Augen waren geschlossen. Statt einer Antwort stöhnte er.
    Ein Moment war mehr als genug Zeit, stellte sie fest.

    St. James saß im einzigen Sessel des Zimmers, einem Ohrenbackensessel, abgesehen vom Bett das bequemste Möbelstück im ganzen Hotel. Zum Schutz gegen die eisige Kälte, die durch die beiden Oberlichter des Zimmers drang, zog er seinen Morgenrock fester um sich.
    Hinter der geschlossenen Badezimmertür konnte er Deborah in der Wanne planschen hören. Im allgemeinen summte oder sang sie beim Baden, aus irgendeinem Grund immer entweder eine Melodie von Cole Porter oder etwas von Gershwin. Sie pflegte diese Lieder mit dem Enthusiasmus einer unentdeckten Edith Piaf und dem Talent eines Marktschreiers wiederzugeben. Sie war nicht fähig, einen Ton zu halten, auch wenn ein ganzer Chor sie unterstützt hätte. An diesem Abend jedoch sang sie nicht.
    Normalerweise war er für jede größere Kunstpause froh und dankbar, besonders wenn er gerade zu lesen versuchte. An diesem Abend jedoch hätte er viel lieber als ihr beharrliches Schweigen ihre unbeschwerten schiefen Gesänge vernommen und sich Gedanken darüber gemacht, wie er ihnen am besten ein Ende bereiten sollte und ob er das überhaupt wollte.
    Abgesehen von einem kurzen Scharmützel beim Tee hatten sie nach ihrer Rückkehr von der ausgedehnten Morgenwanderung in stillschweigendem Einverständnis einen Waffenstillstand geschlossen und auch eingehalten. In Anbetracht des Todes von Robin Sage und in Erwartung von Lynley war es nicht allzu schwierig gewesen. Doch jetzt, da Lynley hier und alles zur Aufnahme der Ermittlungen bereit war, merkte St. James, daß seine Gedanken immer wieder zu der Mißstimmung in seiner Ehe zurückkehrten und zu der Frage, welchen Anteil er selbst daran hatte.
    So sehr Deborah Gefühlsmensch war, so sehr war er Vernunftmensch. Er hatte sich vorgemacht, dieser grundlegende Wesensunterschied zwischen ihnen bilde das Fundament aus Feuer und Eis, auf dem ihre Ehe fest verankert war. Doch ihre Ehe war in eine Phase eingetreten, in der seine Fähigkeit, logisch zu denken, nicht nur ein Nachteil zu sein schien, sondern eben der Punkt, an dem sich Deborahs Weigerung, einen Konflikt anders als dickköpfig anzugehen, verhärtete. Die Worte Um noch einmal auf diese Adoptionsgeschichte zurückzukommen, Deborah reichten aus, um sie in halsstarrige Defensive zu treiben. Die Übergänge von Zorn zu Anklage und schließlich zu Tränen waren so rasant bei ihr, daß er nicht wußte, wie er damit umgehen sollte. Und so kam es, daß er, wenn wieder einmal eine Diskussion damit endete, daß sie Türen knallend aus dem Zimmer oder aus dem Haus lief, häufiger einfach erleichtert aufatmete, anstatt sich zu fragen, was er selbst dazu tun konnte, das Problem auf andere Art anzugehen. Ich hab's versucht, pflegte er zu denken; dabei hatte er in Wirklichkeit nur das alte Muster durchgespielt und gar nichts versucht.
    Er rieb sich seinen verspannten Nacken. Stets zeigte dies ihm den Grad seelischer Belastung, die er zu verleugnen suchte. Er setzte sich etwas tiefer in den Sessel. Bei der Bewegung fiel sein Morgenrock etwas auseinander. Die kalte Luft stieg an seinem gesunden rechten Bein empor. In seinem linken Bein konnte er wie immer überhaupt nichts fühlen, stellte er ganz sachlich fest; in den letzten Jahren gönnte er dem Bein nur noch beiläufige Beachtung. Früher allerdings, in den Jahren vor seiner Ehe, hatte er es fast unablässig beobachtet, wie besessen.
    Es ging dabei immer nur um eines: festzustellen, wie weit die Atrophie seiner Muskeln fortgeschritten war, und den Verfall, der früher oder später der Lähmung folgte, abzuwehren. Sein linker Arm hatte dank qualvollen Monaten harter physikalischer Therapie seine Bewegungsfähigkeit wiedergewonnen. Doch das Bein hatte sich allen Bemühungen der Rehabilitation widersetzt, wie ein Soldat, der sich die psychischen Verletzungen des Krieges bewahrt, als könnten sie allein beweisen, daß er an der Front war.
    »Die Arbeit des Gehirns ist uns zum großen Teil immer noch ein Geheimnis«, hatten die Ärzte nachdenklich zur Erklärung

Weitere Kostenlose Bücher