Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
06 - Denn keiner ist ohne Schuld

06 - Denn keiner ist ohne Schuld

Titel: 06 - Denn keiner ist ohne Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
Vom Netzwerk:
Kaminen und Giebeln zu bestehen schien, unter denen Erker- und Turmfenster den aschgrauen Morgenhimmel spiegelten. Es war aus Kalkstein erbaut, und auf seinen Mauern hatten sich infolge von Verwahrlosung und Witterungseinflüssen häßliche Flechten gebildet, die sich in graugrünen Streifen vom Dach abwärts zogen. Das Land, das Cotes Hall umgab, war von Unkraut überwuchert, und wenn man auch vom Herrenhaus aus nach Westen und Osten einen beeindruckenden Blick auf Wälder und Hügel hatte, so war doch angesichts der trostlosen Winterlandschaft und des Allgemeinzustands des Anwesens dem Gedanken, in diesem Haus zu leben, wenig abzugewinnen. Vorsichtig lenkte Lynley den Bentley über die letzten Schlaglöcher in den Hof hinein, den Cotes Hall überschattete wie das Haus der Familie Usher. Flüchtig dachte er an St. John Townley-Youngs Erscheinen im Crofters Inn am vergangenen Abend. Beim Gehen hatte dieser seinen Schwiegersohn entdeckt, der mit einer Frau, die ganz offensichtlich nicht seine Ehefrau war, zusammengesessen hatte, und nach Townley-Youngs Reaktion zu urteilen, war das nicht der erste solche Seitensprung des jungen Mannes gewesen. Im ersten Moment hatte Lynley geglaubt, sie seien rein zufällig gleichzeitig auf die unerfreulichen Zwischenfälle in Cotes Hall und auf die Identität der Urheberin gestoßen. Die heimliche Geliebte eines verheirateten Mannes würde möglicherweise bis zum Äußersten gehen, um die Ehe eines Mannes zu erschüttern, den sie für sich selbst haben wollte. Doch als Lynley das alte Haus von den rostenden Wetterhähnen und den durchlöcherten Regenrinnen bis zum wuchernden Unkraut und dem großen feuchten Flecken am Sockel des Gebäudes betrachtete, mußte er sich eingestehen, daß dies eine voreilige, von männlichem Chauvinismus bestimmte Schlußfolgerung gewesen war. Selbst er, der dies gar nicht zu fürchten brauchte, schauderte bei dem Gedanken, hier leben zu müssen. Mochte drinnen noch so gründlich renoviert worden sein, es würde Jahre hingebungsvoller Arbeit brauchen, das Äußere des Hauses sowie den Garten und den Park zu retten. Man konnte es niemandem verübeln, ob glücklich verheiratet oder nicht, wenn er alles versuchte, einem Leben dort zu entkommen.
    Er parkte seinen Wagen zwischen einem Lastwagen, der Bauholz geladen hatte, und dem Lieferwagen einer Installationsfirma namens Crackwell & Sons. Ein Durcheinander von Geräuschen, Hammerschläge, das Kreischen einer Säge, lautes Fluchen und die Klänge von »Auf in den Kampf, Torero«, drang aus dem Haus. Schwankend unter der Last einer Teppichrolle auf seiner Schulter, kam, unbewußt im Takt zur Musik gehend, ein älterer Mann in einem fleckigen Overall durch eine Hintertür heraus. Der Teppich schien völlig durchnäßt zu sein. Der Mann ließ ihn neben dem Lastwagen auf den Boden fallen und nickte Lynley zu. »Kann ich was für Sie tun, Meister?« fragte er und zündete sich eine Zigarette an, während er auf Antwort wartete.
    »Können Sie mir sagen, wo das Verwalterhaus ist?« sagte Lynley. »Ich suche Mrs. Spence.«
    Der Mann schob sein stoppeliges Kinn vor, um auf eine Remise auf der anderen Seite des Hofs zu deuten. An sie angelehnt stand ein kleineres Haus, eine Miniaturausgabe des Herrenhauses. Nur war seine Fassade im Gegensatz zu der des alten Hauses gereinigt worden, und in den Fenstern hingen Vorhänge. Zu beiden Seiten der Haustür hatte jemand Winteriris gepflanzt. Ihre gelben und purpurroten Blüten hoben sich leuchtend von den grauen Mauern ab.
    Die Tür war geschlossen. Als Lynley klopfte und sich nichts rührte, rief der Mann im Overall: »Versuchen Sie's mal im Garten. Im Gewächshaus«, ehe er wieder im Herrenhaus verschwand.
    Der Garten hinter dem Haus war vom Hof durch eine Mauer abgetrennt, in die ein grünes Tor eingelassen war. Es ließ sich leicht öffnen, obwohl die Scharniere verrostet waren. Das Stück Land dahinter war ganz offensichtlich Juliet Spences Reich. Hier war die Erde umgegraben und frei von Unkraut. Es roch nach Kompost. Auf einem Blumenbeet am Haus waren Zweige kreuzweise über eine Strohdecke gebreitet, die die Wurzelstöcke mehrjähriger Stauden vor dem Frost schützte. Auf der anderen Seite des Gartens wollte Juliet Spence offensichtlich etwas anpflanzen; mit in die Erde gehauenen Brettern hatte sie dort ein Gemüsefeld abgesteckt, und die Enden der Furchen, in denen bald die ersten grünen Pflanzen sprießen würden, waren mit Holzpfosten markiert.
    Gleich dahinter

Weitere Kostenlose Bücher