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06 - Denn keiner ist ohne Schuld

06 - Denn keiner ist ohne Schuld

Titel: 06 - Denn keiner ist ohne Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
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im Zimmer ihrer Mutter, drehte sich ein kleines Porzellankarussell zu den perlenden Tönen der Melodie von Der Clou.
    »Ach Barbie, Barbie, schau doch!« hauchte ihre Mutter und sah entzückt dem Auf und Nieder der winzigen Pferde zu.
    Auch im Schlafzimmer ihrer Mutter standen Blumen in einer hohen weißen Vase.
    »Ich hab mir gedacht, es würde ihr guttun, wenn man ein bißchen Aufhebens macht«, sagte Mrs. Flo und strich sich mit beiden Händen über das Oberteil ihres feingestreiften Hemdblusenkleids. »Damit sie weiß, daß sie uns hier willkommen ist. Ich hab unten zum Kaffee gedeckt. Es ist zwar noch ein bißchen früh dafür, aber ich dachte, Sie würden vielleicht nicht viel Zeit haben und müßten bald wieder weg.«
    Barbara nickte. »Ja, ich arbeite an einem Fall in Cambridge.«
    Sie sah sich im Zimmer um. Es war sauber, frisch und freundlich mit dem Fleckchen Sonnenlicht auf dem geblümten Teppich. »Vielen Dank«, sagte sie nur.
    Mrs. Flo tätschelte ihr die Hand. »Machen Sie sich nur keine Sorgen um Ihre Mutter. Wir kümmern uns schon um sie, Barbie. Darf ich Sie Barbie nennen?«
    Barbara wollte ihr sagen, daß niemand außer ihren Eltern sie je so genannt hatte, daß es ihr das Gefühl gab, ein Kind zu sein, das Fürsorge brauchte. Sie wollte sie eben verbessern und sagen: »Barbara, bitte«, als ihr klar wurde, daß sie damit die Illusion zerstören würde, daß dies ihr Zuhause war und diese Frauen - ihre Mutter, Mrs. Flo, Mrs. Salkild und Mrs. Pendlebury, von denen die eine blind war und die andere fast völlig verwirrt - eine Familie, in die man sie aufzunehmen anbot. Sie brauchte nur einzuwilligen. Und sie tat es.
    Es war also weniger die Vorstellung, ihre Mutter auf Dauer im Stich zu lassen, die Barbara jetzt, da ihr Traum von Freiheit und Selbständigkeit der Verwirklichung immer näher rückte, bedrückte. Es war die Aussicht, wirklich allein zu sein.
    Seit zwei Monaten war es nun so, daß sie abends, wenn sie nach Hause kam, sich um niemanden mehr zu kümmern brauchte. Jahrelang, während des langen Leidens ihres Vaters, hatte sie sich das sehnlichst gewünscht, und als sie nach seinem Tod mit ihrer kranken Mutter allein dagestanden hatte, hatte sie verzweifelt und, wie ihr schien, eine Ewigkeit angemessene und liebevolle Betreuung für diese gesucht. Nun, da sie allem Anschein nach genau das Richtige gefunden hatte - es gab bestimmt keine zweite Mrs. Flo auf Erden -, stand nicht mehr die Sorge um die Mutter im Mittelpunkt ihrer Pläne, sondern nun mußte sie sich um das Haus kümmern. Und wenn das Haus keine Aufmerksamkeit mehr von ihr verlangte, wenn es verkauft war, würde sie sich selbst ausgeliefert sein.
    Allein, würde sie anfangen müssen, über ihre Isolation nachzudenken. Und wenn abends das King's Arms sich leerte und die Kollegen einer nach dem anderen gingen - MacPherson nach Hause zu seiner Frau und seinen fünf Kindern, Lynley zum Abendessen mit Helen, Nkata zu einer heißen Nacht mit einer seiner sechs, sich dauernd zankenden Freundinnen -, würde sie langsam zum U-Bahnhof St. James' Park trotten und mit den Füßen die Abfälle wegstoßen, die es ihr in den Weg blies. Sie würde bis Waterloo fahren, dort in die Northern Line umsteigen, sich einen Platz suchen und hinter der Times verstecken, Interesse an Politik und Wirtschaft heucheln, um ihre wachsende Panik im Angesicht des Alleinseins zu bemänteln.
    Es ist kein Verbrechen, sich so zu fühlen, sagte sie sich immer wieder. Dreiunddreißig Jahre lang warst du an der Kandare. Was soll man denn sonst fühlen, wenn der Druck plötzlich weg ist? Was empfinden Sträflinge, wenn sie auf freien Fuß gesetzt werden? Na, man könnte sich vielleicht befreit fühlen. Man könnte Freudensprünge machen, man könnte sich bei einem dieser schicken Friseure in Knightsbridge eine neue Frisur verpassen lassen.
    Jede andere in ihrer Situation, meinte sie, steckte wahrscheinlich voller Pläne, würde wie verrückt arbeiten, um das Haus auf Vordermann zu bringen, um es endlich verkaufen und ein neues Leben anfangen zu können, das zweifellos nicht nur mit einer nagelneuen Garderobe beginnen würde, sondern auch mit einer körperlichen Rundumerneuerung dank Fitneßtrainer, einem plötzlichen Interesse an Makeup und einem Anrufbeantworter, der alle Nachrichten der zahllosen Bewunderer aufnahm, die nur darauf warteten, ihr Leben mit dem ihren zu verflechten.
    Aber Barbara war immer schon zu pragmatisch gewesen. Sie wußte, daß Veränderungen sich

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