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06 - Denn keiner ist ohne Schuld

06 - Denn keiner ist ohne Schuld

Titel: 06 - Denn keiner ist ohne Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
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Aber unvorteilhafte Neigungen sind nur eine Möglichkeit. Es gibt Dutzende anderer, wie wir bereits festgestellt haben. Wenn Havers irgend etwas Fragwürdiges aufdecken sollte, ganz gleich, was es ist, haben wir wenigstens einen besseren Ansatzpunkt als jetzt.«
    Lynley spähte durch das Küchenfenster. Das Licht, das nach draußen fiel, kam von einer kleinen Lampe über dem Herd. Der Raum war leer. »Ben Wragg hat uns doch gesagt, es gebe hier eine Haushälterin, nicht wahr?«
    Er läutete ein drittes Mal.
    Endlich hörten sie eine Stimme hinter der Tür, zaghaft und leise. »Wer ist da, bitte?«
    »Scotland Yard«, antwortete Lynley. »Ich habe einen Ausweis, wenn Sie ihn sehen möchten.«
    Die Tür wurde einen Spalt geöffnet und sofort wieder geschlossen, nachdem Lynley seinen Dienstausweis durch den Spalt gereicht hatte. Nahezu eine Minute verging. Auf der Straße ratterte ein Traktor vorbei. Am Rand des Parkplatzes vor der Kirche stiegen sechs Jugendliche in Schuluniformen aus dem Schulbus, der dann den Hang hinauf weiterfuhr.
    Die Tür wurde wieder geöffnet. Eine Frau stand auf der Schwelle. Sie hatte den Dienstausweis in der einen Hand und hielt mit der anderen den Rollkragen ihres Pullovers zusammen, als hätte sie Angst, er bedeckte sie sonst nicht ausreichend. Ihr Haar - lang und kraus, so abstehend, daß es aussah wie elektrisch geladen - verbarg mehr als die Hälfte ihres Gesichts. Die Schatten verbargen den Rest.
    »Der Pfarrer ist tot«, sagte sie undeutlich. »Er ist letzten Monat gestorben. Der Constable hat ihn auf dem Fußweg gefunden. Er hatte etwas Schlechtes gegessen. Es war ein Unfall.«
    Sie erzählte ihnen das, als hätte sie keine Ahnung davon, daß New Scotland Yard bereits seit vierundzwanzig Stunden im Dorf die Spuren dieses Todesfalls verfolgte. Es war schwer zu glauben, daß sie noch nicht davon gehört haben sollte, zumal sie, wie Lynley erkannte, als er sie musterte, am vergangenen Abend, als St. John Townley-Young ins Crofters Inn gekommen war, mit einem männlichen Begleiter in der Gaststube gesessen hatte. Und eben den Mann, mit dem sie zusammengesessen hatte, hatte Townley-Young angegangen.
    Sie machte keine Anstalten, sie hereinzulassen. Doch sie zitterte vor Kälte, und als Lynley abwärts blickte, sah er, daß ihre Füße nackt waren. Und er sah, daß sie eine lange Hose in feinem Fischgrätenmuster anhatte.
    »Können wir einen Moment hereinkommen?«
    »Es war ein Unfall«, sagte sie. »Das weiß jeder.«
    »Wir bleiben nicht lange. Und Sie sollten nicht hier in der Kälte stehen.«
    Sie zog den Kragen ihres Pullovers fester zusammen. Sie sah von Lynley zu St. James und wieder zu Lynley, ehe sie von der Tür zurücktrat und sie ins Haus ließ.
    »Sie sind die Haushälterin?« fragte Lynley.
    »Polly Yarkin«, antwortete sie.
    Lynley stellte ihr St. James vor und sagte dann: »Können wir Sie einen Augenblick sprechen?«
    Er hatte das merkwürdige Gefühl, sehr sanft mit ihr sein zu müssen, ohne genau zu wissen, warum. Sie wirkte irgendwie verschreckt und gebrochen. Sie machte den Eindruck, als wollte sie jeden Moment auf und davon laufen.
    Sie führte sie in das Wohnzimmer, wo sie auf den Schalter einer Stehlampe drückte, ohne daß etwas geschah. »Da ist anscheinend die Birne hinüber«, sagte sie und ließ sie allein.
    Im schwindenden Licht des frühen Abends konnten Lynley und St. James sehen, daß alles, was der Pfarrer möglicherweise an persönlicher Habe besessen hatte, verschwunden war. Zurückgeblieben waren ein Sofa, ein Sitzkissen und zwei Sessel, dies alles um einen Couchtisch gruppiert. An der Wand war ein deckenhohes Bücherregal, allerdings ohne Bücher. Auf dem Boden daneben lag irgend etwas Glitzerndes. Lynley ging es sich ansehen.
    St. James trat zum Fenster und schob die Vorhänge beiseite. »Nicht viel zu sehen da draußen. Die Büsche sehen übel aus. Auf der Treppe stehen Pflanzen«, sagte er mehr zu sich selbst.
    Lynley hob eine kleine silberne Kugel auf, die zersprungen auf dem Teppich lag. Rundherum verstreut lagen verschrumpelte Schnipsel irgendeiner Substanz, vielleicht vertrocknete Überreste einer Frucht. Er hob auch eines dieser Schnipsel auf. Es hatte keinen Geruch, und seine Beschaffenheit erinnerte an getrockneten Schwamm. Die Kugel hing an einer passenden silbernen Kette, deren Verschluß beschädigt war.
    »Ach, das ist meine.«
    Polly Yarkin war mit einer Glühbirne in der Hand zurückgekommen. »Ich hab mich schon gefragt, wo sie

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