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06 - Denn keiner ist ohne Schuld

06 - Denn keiner ist ohne Schuld

Titel: 06 - Denn keiner ist ohne Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
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langsam entwickelten, wenn überhaupt. Für sie bedeutete daher der Umzug nach Chalk Farm im Augenblick nicht mehr als fremde Geschäfte, an die sie sich gewöhnen mußte, fremde Straßen, mit denen sie sich vertraut machen mußte, fremde Nachbarn, die sie kennenlernen mußte. Dies alles würde sie allein schaffen müssen, ohne teilnehmenden Freund und Gefährten, der bereit und begierig war, sich von ihr erzählen zu lassen, was sich an diesem oder jenem Tag ereignet hatte.
    In ihrem Leben hatte es allerdings noch nie einen teilnehmenden Freund oder Gefährten gegeben, auch ihre Eltern, die jeden Abend ungeduldig ihre Heimkehr erwartet hatten, waren es nicht gewesen. Dennoch, dreiunddreißig Jahre lang hatten ihre Eltern ihr Leben begleitet. Sie hatten ihr das Leben zwar nicht gerade leicht gemacht, ihr nie das Gefühl gegeben, sie habe noch eine verheißungsvolle Zukunft vor sich, aber sie waren dagewesen, und sie hatten sie gebraucht. Jetzt brauchte sie niemand mehr.
    Sie wurde sich darüber klar, daß sie nicht so sehr das Alleinsein fürchtete als vielmehr die Möglichkeit, eine der Unsichtbaren zu werden, eine Frau, die für niemanden besonders wichtig war. Dieses Haus in Acton - ganz besonders, wenn sie ihre Mutter hierher zurückholte - würde ihr ersparen, erkennen zu müssen, daß sie in dieser Welt ein überflüssiges Wesen war, das wie alle anderen Menschen schlief und arbeitete, Nahrung zu sich nahm und wieder ausschied, sonst jedoch entbehrlich war. Wenn sie die Tür hinter sich abschloß, dem Immobilienmakler den Schlüssel übergab und ihres Weges ging, riskierte sie damit die Aufdeckung ihrer eigenen Bedeutungslosigkeit. Das wollte sie vermeiden, solange es ging.
    Sie drückte ihre Zigarette aus, stand auf und streckte sich. Sie war hungrig und beschloß, zum Griechen zum Essen zu gehen. Souvlaki mit Reis, Dolmades und eine halbe Flasche von Aristides' nicht allzu üblem Wein. Aber zuerst der Müllbeutel vor der Hintertür. Sie nahm ihn hoch und trug ihn über die von Unkraut überwachsenen Steinplatten zu den Mülltonnen. Gerade als sie den Beutel hineinfallen ließ, begann im Haus das Telefon zu läuten.
    »Ah, das ist bestimmt mein Traummann, der mich zum Essen einladen will«, brummte sie. Und dann: »Ja ja, ich komm ja schon«, als ließe der Anrufer Ungeduld spüren.
    Beim achten Läuten war sie dort, hob den Hörer ab und hörte eine Männerstimme sagen: »Ah, gut. Sie sind da. Ich hatte schon Angst, ich würde Sie nicht erwischen.«
    »Ja, wäre das nicht schrecklich gewesen?« fragte Barbara. »Ich wette, Sie tun keine Nacht ein Auge zu, seit wir getrennt sind.«
    Lynley lachte. »Wie läuft der Urlaub, Sergeant?«
    »Mehr recht als schlecht.«
    »Sie brauchen Tapetenwechsel, um auf andere Gedanken zu kommen.«
    »Kann schon sein. Aber irgendwie hab ich das Gefühl, Sie wollen mir da was überstülpen, was mir später vielleicht leid tut.«
    »Wie wär's mit Cornwall?«
    »Hey, das klingt gar nicht schlecht. Und wer zahlt?«
    »Ich.«
    »In Ordnung, Inspector. Wann fahre ich los?«

20
    Es war Viertel vor fünf, als Lynley und St. James die kurze Einfahrt zum Pfarrhaus hinaufgingen. Es war kein Auto zu sehen, aber in einem der Räume des Hauses, es schien die Küche zu sein, brannte Licht. Und auch im ersten Stock war eines der Fenster erleuchtet. Sie konnten den Schattenriß einer Gestalt sehen, die sich hinter den Vorhängen bewegte. Neben der Haustür wartete eine Ladung Müll darauf, beseitigt zu werden. Sie schien größtenteils aus Zeitungen, leeren Putzmittelbehältern und schmutzigen Lappen zu bestehen. Von letzteren stieg ein starker Ammoniakgeruch auf.
    Lynley läutete. St. James sah über die Straße und betrachtete mit nachdenklichem Stirnrunzeln die Kirche. »Ich vermute, sie wird im Archiv der Lokalzeitung kramen müssen, um einen Bericht über den Unfall zu finden, Tommy. Ich kann mir nicht denken, daß der Bischof von Truro Barbara mehr sagen wird, als sein Sekretär mir verraten hat. Immer vorausgesetzt, daß es ihr überhaupt gelingt, bis zu ihm vorzudringen. Er kann sie tagelang hinhalten, wenn er will, besonders wenn es tatsächlich etwas zu verbergen gibt und Glennaven ihn von unserem Besuch unterrichtet hat.«
    »Havers wird das schon irgendwie deichseln. Ich trau ihr ohne weiteres zu, daß sie auch einen Bischof in die Zange nimmt.«
    Lynley läutete wieder.
    »Aber ob Truro irgendwelche unvorteilhaften Neigungen von Sage zugeben wird...«
    »Ja, das ist ein Problem.

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