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06 - Denn keiner ist ohne Schuld

06 - Denn keiner ist ohne Schuld

Titel: 06 - Denn keiner ist ohne Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
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Und als er eigentlich hätte gehen sollen - das wäre alles, und danke Ihnen, Madam, daß Sie sich die Zeit genommen haben -, da beschloß sie, ihm die Pistole zu zeigen, um ihn noch festzuhalten. Sie feuerte sie ab und wartete auf seine Reaktion, wartete, daß er sie ihr wegnehmen, ihre Hand berühren würde, wenn er sie ihr abnahm, aber das tat er nicht, er wahrte den Abstand zwischen ihnen, und sie wurde sich beinahe ungläubig bewußt, daß er genau das gleiche dachte wie sie, nur dies eine Mal, nur dies eine Mal.
    Liebe, sagte sie sich, konnte es nicht sein. Sie war zehn Jahre älter als er, sie kannten einander nicht einmal, hatten vor diesem Tag nie miteinander gesprochen, und der christliche Glaube, dem sie vor langer Zeit den Rücken gekehrt hatte, behauptete ja, daß niemals Liebe entstehen konnte, wenn die Begierden des Fleisches jene der Seele beherrschten.
    An diese Gedanken klammerte sie sich an jenem ersten gemeinsamen Nachmittag und glaubte sich vor der Liebe sicher. Sie hätte das Ausmaß der Gefahr, die er für sie darstellte, erkennen müssen, als sie auf der Uhr auf ihrem Nachttisch sah, daß mehr als vier Stunden vergangen waren und sie nicht ein einziges Mal an Maggie gedacht hatte. Da hätte sie Schluß machen sollen - in dem Moment, als die Schuldgefühle hochkamen und den schläfrigen Frieden der Erfüllung verdrängten. Sie hätte ihr Herz verschließen und ihn mit einer abrupten und verletzenden Bemerkung wie Für einen Bullen bumsen Sie gar nicht übel aus ihrem Leben verbannen sollen. Statt dessen jedoch sagte sie: »O mein Gott«, und er hatte alles gewußt. Er hatte gesagt: »Ich war selbstsüchtig. Du machst dir Sorgen um deine Tochter. Ich gehe jetzt lieber. Ich habe dich viel zu lange für mich in Anspruch genommen. Ich habe.«
    Als er schwieg, sah sie ihn nicht an, aber sie fühlte, wie seine Hand ihren Arm berührte. »Ich weiß nicht, wie ich das nennen soll, was ich empfunden habe«, sagte er, »und was ich jetzt empfinde. Ich weiß nur, dieses Zusammensein mit dir - es war nicht genug. Es ist selbst jetzt noch nicht genug. Ich weiß nicht, was das bedeutet.«
    Sie hätte trocken sagen sollen: »Es bedeutet, daß Sie scharf waren, Constable. Wir waren es beide. Sind es immer noch.«
    Aber sie sagte es nicht. Sie hörte auf die Geräusche, die er beim Anziehen machte, und versuchte, sich irgend etwas Kurzes und unmißverständlich Endgültiges einfallen zu lassen, um ihn wegzuschicken. Als er sich auf die Bettkante setzte und sie herumdrehte und sie mit einem Gesicht, in dem sich Staunen und Furcht mischten, ansah, hätte sie die Gelegenheit gehabt, den Schlußstrich zu ziehen. Aber sie zog ihn nicht. Statt dessen hörte sie ihm zu, als er sagte: »Ist es möglich, daß ich dich so schnell liebe, Juliet Spence? Einfach so, aus heiterem Himmel? An einem Nachmittag? Kann das Leben sich so plötzlich verändern?«
    Und da sie nichts besser wußte, als daß das Leben sich in dem einen Moment unwiderruflich ändern kann, sagte sie: »Ja. Aber tu es nicht.«
    »Was?«
    »Liebe mich nicht. Laß nicht zu, daß dein Leben sich verändert.«
    Er verstand sie nicht. Er konnte sie ja auch nicht verstehen. Er glaubte vielleicht, sie sei kokett. Er sagte: »Das hat man doch nicht unter Kontrolle.«
    Als er mit der Hand langsam ihren Körper hinunterstrich und ihr Körper sich gegen ihren Willen der Liebkosung begierig öffnete, wußte sie, daß er recht hatte.
    Lange nach Mitternacht rief er sie in dieser Nacht an und sagte: »Ich weiß nicht, was das ist. Ich weiß nicht, wie ich es nennen soll. Ich dachte, wenn ich deine Stimme höre. Ich habe noch nie solche Gefühle. Aber das sagen Männer immer, wie? Noch nie habe ich solche Gefühle gehabt, darum laß mich mit dir schlafen, damit ich diese Gefühle ausloten kann. Sicher, das spielt auch mit, ich will nicht lügen, aber es geht darüber hinaus, und ich weiß nicht, wieso.«
    Sie hatte sich wie ein albernes Ding benommen, weil sie nicht genug davon bekommen konnte, von einem Mann geliebt zu werden. Auch Maggie hatte das nicht verhindern können: nicht mit ihrem Wissen, das ihr unausgesprochen im bleichen Gesicht geschrieben stand, als sie keine fünf Minuten nach Colins Gehen mit ihrer Katze in den Armen und glänzenden Wangen, von denen sie die Tränen abgewischt hatte, ins Haus gekommen war; nicht mit der Art, wie sie Colin schweigend zu taxieren pflegte, wenn er zum Essen kam oder mit ihnen wandern ging; nicht mit ihrem Betteln, sie

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