Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
06 - Denn keiner ist ohne Schuld

06 - Denn keiner ist ohne Schuld

Titel: 06 - Denn keiner ist ohne Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
Vom Netzwerk:
nicht allein zu lassen, wenn Juliet wegging, um ein, zwei Stunden mit Colin in seinem Haus zu verbringen. Nein, Maggie hatte sie nicht bremsen können. Aber es war im Grunde auch gar nicht nötig gewesen, weil Juliet wußte, daß das Ganze keine Zukunft hatte. Sie hatte nur vergessen, daß sie sich in den vielen Jahren, da sie einzig für den Augenblick gelebt hatte - an der Schwelle zu einem Morgen, das stets das Schlimmste zu bringen drohte -, die größte Mühe gegeben hatte, Maggie ein Leben zu bieten, das normal zu sein scheinen sollte. Darum waren Maggies Ängste, daß Colin dieses Leben dauerhaft stören könnte, ganz natürlich. Ihr zu erklären, daß sie gleichzeitig unbegründet waren, hätte geheißen, ihr Dinge sagen zu müssen, die ihre Kinderwelt zerstört hätten. Und das brachte Juliet nicht über sich. Sie brachte es aber auch nicht über sich, Colin fortzuschicken. Nur noch eine Woche, pflegte sie zu denken, lieber Gott, bitte gönne mir nur noch eine Woche mit ihm, dann beende ich es. Ich verspreche es.
    Und so hatte sie sich diesen Abend eingehandelt. Sie wußte es nur zu gut.
    Wie die Mutter, so die Tochter, darauf, dachte Juliet, lief es letztlich hinaus. Maggies intime Beziehung zu Nick Ware war mehr als der Racheakt einer Pubertären gegen ihre Mutter; sie war mehr als nur die Suche nach einem Mann, den sie ganz im geheimen Daddy nennen konnte; in ihr bewies sich letztlich ihr Erbe. Aber Juliet wußte, daß sie es hätte verhindern können, hätte sie selbst sich nicht mit Colin eingelassen und so ihrer Tochter ein Beispiel gegeben.
    Juliet zog sich die Lederhandschuhe von den Fingern und warf sie zu Jacke und Schal auf den Boden. Sie ging nicht in die Küche, um ein Abendessen zu richten, das ihre Tochter doch nicht essen würde, sondern zur Treppe. Vor der ersten Stufe blieb sie mit der Hand auf dem Geländer stehen und versuchte, die Kraft zu finden, hinaufzugehen. So viele Treppen im Lauf der Jahre, eine wie die andere: abgetretener Teppichboden, kahle Wände. Wenn man Bilder an die Wände hängte, hatte sie sich immer gesagt, mußte man sie beim Umzug nur wieder abnehmen; es war ihr daher sinnlos erschienen, sie überhaupt aufzuhängen. Halte alles schlicht, einfach, funktional. Dieser Parole folgend, hatte sie stets allen Schmuck abgelehnt, der emotionale Bindung an die Wohnung, in der sie zufällig gerade lebte, hätte fördern können. Es sollte kein Verlust entstehen, wenn sie weiterzogen.
    Ein neues Abenteuer hatte sie jeden Umzug genannt; schauen wir mal, wie es in Northumberland ist. Sie hatte versucht, aus dem Auf-der-Flucht-Sein ein Spiel zu machen. Erst als sie nicht mehr geflohen war, hatte sie verloren.
    Sie ging die Treppe hinauf. Die Angst ergriff immer mehr von ihr Besitz. Warum ist sie ausgerissen, fragte sie sich. Was haben sie ihr erzählt? Was weiß sie?
    Die Tür zu Maggies Zimmer war nur angelehnt. Sie drückte sie auf. Mondlicht schimmerte zwischen den Ästen der Linde draußen vor dem Fenster und fiel in einem welligen Muster auf das Bett. Auf ihm lag zusammengerollt Maggies Katze, den Kopf tief zwischen den Pfoten, Schlaf vortäuschend, in der Hoffnung, Juliet würde Gnade vor Recht ergehen lassen und sie nicht verjagen. Punkin war der erste Kompromiß, auf den Juliet sich mit Maggie eingelassen hatte. Bitte, bitte, darf ich eine kleine Katze haben, Mom - so ein bescheidener Wunsch war das gewesen, so leicht zu gewähren. Sie hatte damals nicht gewußt, daß Maggies freudige Dankbarkeit über die Erfüllung eines kleinen Wunsches unausweichlich in ihr die Lust wecken würde, weitere zu erfüllen. Kleinigkeiten waren es zu Anfang gewesen - bei den Freundinnen übernachten, eine Fahrt nach Lancaster mit Josie und ihrer Mutter -, aber sie erzeugten ein Gefühl der Zugehörigkeit, das Maggie nie zuvor gekannt hatte, und führten schließlich zu der Bitte zu bleiben. Und die Entscheidung zu bleiben hatte zu Nick geführt, zum Pfarrer, zu diesem Abend.
    Juliet setzte sich aufs Bett und knipste das Licht an. Punkin schob seinen Kopf tiefer zwischen seine Pfoten, doch sein Schwanz zuckte einmal und verriet ihn. Juliet strich ihm mit der Hand über den Kopf und die Rundung seines Rückens. Er war nicht so sauber, wie er hätte sein sollen. Er war zuviel draußen im Wald. Noch sechs Monate, und er würde ganz verwildert sein. Instinkt war eben Instinkt.
    Auf dem Boden neben Maggies Bett lag ihr dickes Album. Der Einband war abgegriffen und rissig, die Seiten hatten

Weitere Kostenlose Bücher