06 - Denn keiner ist ohne Schuld
liebzuhaben.«
»Doch!«
»Ach ja? Was heißt es dann, einem Menschen, den man liebt, ein Versprechen zu geben? Sind das nur leere Worte? Ist das etwas, das man nur sagt, um den anderen loszuwerden? Etwas, das man nur sagt, um den anderen zu besänftigen? Oder um das zu bekommen, was man haben möchte?«
Maggie spürte Tränen aufsteigen. Alles auf der Arbeitsplatte -der zerbeulte Toaströster, vier Metallbehälter, ein Mörser mit Stößel, sieben Einmachgläser - verschwamm vor ihrem Blick, als sie zu weinen begann.
»Du hast mir ein Versprechen gegeben, Maggie. Wir hatten eine Vereinbarung. Muß ich dich erst daran erinnern?«
Maggie packte den Wasserhahn über dem Spülbecken und schob ihn hin und her, rein um der Gewißheit willen, etwas unter der Hand zu haben, das sie beherrschen konnte. Punkin sprang auf die Arbeitsplatte und schlängelte sich zwischen Gläsern und Metallbehältern hindurch zu ihr. Einmal blieb er kurz stehen, um an ein paar Krümeln auf dem Toaster zu schnuppern. Er miaute klagend und rieb sich an ihrem Arm. Blind zog sie ihn zu sich heran und senkte ihr Gesicht zu seinem Nacken hinunter. Er roch nach feuchtem Heu. Sein Fell blieb an ihren nassen Wangen kleben.
»Wenn wir im Dorf bleiben würden, hast du gesagt, wenn wir nur dies eine Mal nicht weiterziehen würden, dann würde ich das nie bereuen. Du würdest alles tun, damit ich stolz auf dich sein könnte. Erinnerst du dich daran? Erinnerst du dich, daß du mir dein Wort gegeben hast? Hier an diesem Tisch hast du gesessen, im August, und hast darum gebettelt, in Winslough zu bleiben. ›Nur das eine Mal, Mami. Bitte. Laß uns bleiben. Ich habe so gute Freundinnen hier, Mami. Ich möchte die Schule fertigmachen. Ich tu auch alles, was du willst. Bitte. Nur laß uns bleiben.‹«
»Das stimmt auch. Ich hab hier Freundinnen. Josie und Pam.«
»Es war eine Art Abwandlung der Wahrheit, weniger als die halbe Wahrheit. Und schon zwei Monate später hast du es drüben im Herrenhaus mit einem fünfzehnjährigen Bauernlümmel getrieben und weiß der Himmel mit wieviel anderen Burschen.«
»Das ist nicht wahr!«
»Was ist nicht wahr, Maggie? Daß du es mit Nick getrieben hast? Oder daß du jeden seiner scharfen kleinen Freunde rangelassen hast, der mal mit dir bumsen wollte?«
»Ich hasse dich!«
»Ja. Seit das angefangen hat, hast du mir das klar und deutlich zu verstehen gegeben. Und es tut mir leid. Denn ich hasse dich nicht.«
»Du tust doch nichts anderes.«
Maggie drehte sich nach ihrer Mutter herum. »Du hältst mir Vorträge darüber, daß man so was nicht tun darf, und dabei tust du es die ganze Zeit selber. Du bist überhaupt nicht besser als ich. Du tust es mit Mr. Shepherd. Das weiß jeder.«
»Das ist der springende Punkt, oder? Du bist dreizehn Jahre alt. Dein Leben lang hab ich niemals einen Freund oder Geliebten gehabt. Und du bist entschlossen, es mir auch diesmal gründlich auszutreiben. Ich soll gefälligst weiterhin nur für dich leben, so wie du es gewöhnt bist. Richtig?«
»Nein.«
»Und wenn du schwanger werden mußt, um mich kirre zu machen, dann ist das auch in Ordnung?«
Maggie packte die Essigflasche und schleuderte sie auf den Fliesenboden. Glasscherben sprangen in alle Richtungen. Die Luft in der Küche roch augenblicklich beißend sauer. Punkin fauchte und wich mit gesträubtem Fell und hohem Katzenbuckel zurück.
»Ich werde mein Kind liebhaben«, schrie Maggie schrill. »Ich werde es liebhaben und für es sorgen, und es wird mich liebhaben. So ist das mit allen Babys. Sie haben ihre Mütter lieb, und ihre Mütter haben sie lieb.«
Juliet Spence sah auf die Bescherung am Boden. Auf den hellen Fliesen sah der Essig aus wie verdünntes Blut.
»Es ist Veranlagung.«
Ihre Stimme klang erschöpft. »Lieber Gott, es ist dir im Innersten eingeimpft.«
Sie zog sich einen Küchenstuhl heran und sank darauf nieder. Sie legte beide Hände um den Porzellanbecher mit dem Tee. »Babys sind keine Liebesmaschinen«, sagte sie. »Sie wissen nicht, wie man liebt. Sie wissen nicht, was Liebe ist. Sie haben Hunger und Durst, sie brauchen Schlaf, sie machen in die Windeln. Und das ist alles.«
»Gar nicht wahr!« widersprach Maggie. »Babys lieben ihre Mutter. Sie machen, daß die Mutter sich gut fühlt. Sie gehören einem. Hundert Prozent. Man kann sie festhalten und mit ihnen in einem Bett schlafen und sich ganz eng mit ihnen zusammenkuscheln. Und wenn sie groß werden...«
»Dann brechen sie einen in Stücke.
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