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06 - Denn keiner ist ohne Schuld

06 - Denn keiner ist ohne Schuld

Titel: 06 - Denn keiner ist ohne Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
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Moment lang an ihren eigenen Schlußfolgerungen zweifeln würde. Die Situation, in die er sie gebracht hatte, paßte ihr gar nicht. Wie sollte sie sich revanchieren, solange ihre Lebensverhältnisse in so krassem Gegensatz standen? Er würde ja nicht einmal das Wort »Schuld« akzeptieren.
    Ach, verdammt, dachte sie, er sieht zuviel, er weiß zuviel, er ist zu schlau, um sich ertappen zu lassen. Sie drehte den Schreibtischsessel, so daß sie das Bild von Lynley und Helen Clyde sehen konnte, das auf dem Aktenschrank stand. Mit finsterer Miene starrte sie Lynley an.
    »Zum Teufel mit Ihnen«, sagte sie heftig und schnippte Asche auf den Boden. »Lassen Sie gefälligst Ihre Finger aus meinem Leben, Inspector.«
    »Muß es gleich sein, Sergeant? Oder hat es noch etwas Zeit?«
    Barbara fuhr herum. Lynley stand in der Tür, den Kaschmirmantel lose über der Schulter, und hinter ihm hüpfte mit verzweifelter Miene Dorothea Harriman - die Sekretärin des Abteilungsleiters - auf und nieder. Mit den Lippen formte sie unhörbar die Worte Tut mir leid. Ich hab ihn nicht kommen sehen und konnte Sie nicht warnen, und unterstrich sie mit wildem verzeihungsheischendem Armewedeln. Als Lynley über die Schulter zurückblickte, klimperte Harriman rasch mit allen zehn Fingern, lächelte ihn strahlend an und verschwand im Sprayglanz ihres blonden Haares.
    Barbara stand sofort auf. »Sie sind doch im Urlaub«, sagte sie.
    »Genau wie Sie.«
    »Was tun Sie dann...«
    »Und Sie?«
    Sie zog lang an ihrer Zigarette. »Ich dachte mir, schau mal kurz vorbei. Ich war gerade in der Gegend.«
    »Ah ja.«
    »Und Sie?«
    »Das gleiche.«
    Er kam herein und hängte seinen Mantel auf. Im Gegensatz zu ihr, die die Illusion von Urlaub wenigstens insofern aufrechterhalten hatte, als sie in löchriger Blue Jeans und Sweatshirt ins Yard gekommen war, war Lynley in gewohnt korrekter Dienstkleidung: Anzug mit Weste, frisches, leicht gestärktes Hemd, seidene Krawatte und schräg über der Weste die Uhrkette, die niemals fehlte. Er ging zu seinem Schreibtisch - wo sie ihm eiligst Platz machte -, warf einen scheelen Blick auf ihre schwelende Zigarette und begann, die Papierberge durchzusehen.
    »Was ist denn das?« fragte er und hielt die restlichen acht Seiten des Memorandums hoch, das Barbara zu lesen versucht hatte.
    »Hilliers Überlegungen zur Zusammenarbeit mit der IRA.«
    Er klopfte auf seine Jackentasche, nahm seine Lesebrille heraus und überflog den Text. »Komisch, das fängt ja mitten im Text an«, bemerkte er.
    Verlegen griff sie in den Papierkorb und holte die beiden ersten Seiten heraus. Sie glättete sie auf ihrem kräftigen Schenkel und reichte sie ihm, wobei sie Zigarettenasche auf seinen Jackenärmel fallen ließ.
    »Havers...«
    Seine Stimme war der Inbegriff von Langmut.
    »Tut mir leid.«
    Sie fegte die Asche weg. Ein Fleck blieb zurück. Sie rieb ihn in den Stoff. »Das ist gut fürs Material«, sagte sie. »Altes Ammenmärchen.«
    »Machen Sie das verdammte Ding doch aus.«
    Seufzend drückte sie die Zigarette an der Sohle ihres linken Turnschuhs aus. Sie schnippte den Stummel in Richtung Papierkorb, traf jedoch nicht, und der Stummel landete auf dem Fußboden. Lynley hob den Kopf von Hilliers Memorandum, beäugte die Kippe über den Rand seiner Brille und zog irritiert eine Augenbraue hoch.
    »Tut mir leid«, sagte Barbara wieder und ging hin, um den Stummel in den Korb zu befördern. Dann stellte sie den Papierkorb wieder an seinen Platz neben Lynleys Schreibtisch und ließ sich in einen der Besuchersessel fallen. Sie begann an den ausgefransten Rändern eines Lochs in ihrer Jeans zu zupfen und warf ab und zu einen verstohlenen Blick auf Lynley, während er las.
    Er wirkte frisch und sorglos. Das blonde Haar lag perfekt geschnitten wie immer - sie hätte schon lange gern gewußt, wer eigentlich auf so wunderbare Weise dafür sorgte, daß es stets so aussah, als wachse sein Haar nicht einen Millimeter über eine bestimmte Länge hinaus - an seinem Kopf an, seine braunen Augen waren klar, keine dunklen Ringe beschatteten die Haut unter ihnen, keine tiefen Furchen infolge von Abgespanntheit oder Sorge hatten sich den Alterslinien auf seiner Stirn zugesellt. Dennoch blieb die Tatsache bestehen, daß er in diesem Augenblick eigentlich auf der Fahrt in den lang geplanten Urlaub mit Helen Clyde hätte sein müssen. Sie wollten nach Korfu. Ihre Maschine ging um elf. Aber es war jetzt Viertel nach zehn, und wenn der Inspector nicht vorhatte,

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