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06 - Denn keiner ist ohne Schuld

06 - Denn keiner ist ohne Schuld

Titel: 06 - Denn keiner ist ohne Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
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ein Irrlicht von einem Kind, das ihn von der anderen Seite des Hofs aus mit ernster Miene beobachtet hatte, als er an jenem ersten Nachmittag das Haus verlassen hatte. In den Armen hatte sie eine ungepflegte Katze gehalten und ihn unverwandt angesehen. Sie weiß es, dachte er. Er sagte hallo, nannte ihren Namen, aber sie verschwand um die Ecke des Herrenhauses. Seitdem war sie ihm gegenüber stets höflich gewesen - ein wahrer Ausbund an guter Erziehung -, aber in ihrem Gesicht sah er das Urteil. Schon lange bevor Juliet erkannte, wohin Maggies Verliebtheit in Nick Ware führte, hätte er prophezeien können, auf welche Weise sie von ihrer Mutter Vergeltung fordern würde.
    Er hätte irgendwie eingreifen können. Er kannte Nick Ware, er war gut bekannt mit den Eltern des Jungen. Er hätte von Nutzen sein können, wenn Juliet es ihm erlaubt hätte.
    Statt dessen hatte sie zugelassen, daß der Pfarrer sich in ihr und Maggies Leben drängte. Und Robin Sage hatte nicht lange gebraucht, um das zu schaffen, was Colin erfolglos herzustellen versucht hatte: eine Verbindung zu Maggie. Er sah sie vor der Kirche miteinander sprechen, Seite an Seite ins Dorf wandern, wobei die schwere Hand des Pfarrers auf der Schulter des Mädchens ruhte. Er sah sie mit dem Rücken zur Straße auf der Kirchhofsmauer sitzen, die Gesichter dem Cotes Fell zugewandt. Er registrierte die Besuche, die Maggie im Pfarrhaus machte. Und er nahm sie zum Anlaß, mit Juliet über das Thema zu sprechen.
    »Ach, da ist doch nichts dahinter«, meinte Juliet. »Sie sucht ihren Vater. Sie weiß, daß du es nicht sein kannst - sie hält dich für zu jung, und außerdem bist du ja niemals aus Lancashire weggewesen, nicht wahr? -, also versucht sie, Mr. Sage in die Rolle zu pressen. Sie ist überzeugt, daß ihr Vater ständig auf der Suche nach ihr ist. Warum also nicht in Gestalt eines Pfarrers?«
    »Und wer ist ihr Vater?«
    Ihr Gesicht verschloß sich wie immer. Er fragte sich manchmal, ob dieses Schweigen ihre Art war, seine Leidenschaft wachzuhalten, ihn, indem sie sich interessanter machte, als andere Frauen es waren, herauszufordern, brav und bereitwillig immer weiter seine Männlichkeit unter Beweis zu stellen. Aber nicht einmal das schien für sie große Bedeutung zu haben; wenn er in seinem verzweifelten Wunsch, die Wahrheit zu erfahren, darauf anspielte, daß er sie verlassen würde, pflegte sie nur zu sagen: »Nichts dauert ewig, Colin.«
    »Wer ist er, Juliet? Er ist gar nicht tot, nicht wahr?«
    »Maggie möchte daran glauben.«
    »Und ist es wahr?«
    Sie schloß einen Moment die Augen. Er hob ihre Hand, küßte die Innenseite, zog sie auf seine Brust. »Juliet, ist es wahr?«
    »Ich glaube, ja.«
    »Du glaubst? Bist du noch mit ihm verheiratet?«
    »Colin. Bitte!«
    »Warst du überhaupt mit ihm verheiratet?«
    Wieder schloß sie die Augen. Unter ihren Wimpern sah er Tränen aufblitzen, und für einen Moment konnte er weder ihren Schmerz noch ihre Traurigkeit verstehen. Dann sagte er: »Ach Gott! Juliet! Juliet, bist du vergewaltigt worden? Ist Maggie... Hat jemand...«
    Sie flüsterte: »Erniedrige mich nicht.«
    »Du warst nie verheiratet, nicht wahr?«
    »Bitte, Colin!«
    Doch diese Tatsache änderte nichts. Sie weigerte sich dennoch, ihn zu heiraten. Zu alt für dich, lautete ihre Ausrede.
    Jedoch nicht zu alt für den Pfarrer.
    Den Kopf an das kühle Holz der Haustür gedrückt, hinter der die Schritte seines Vaters längst verklungen waren, stand Colin Shepherd da und lauschte Lynleys Frage nach, die wie ein hartnäckiges Echo all seiner Zweifel in seinem Schädel dröhnte.
    Wäre es denn wahrscheinlich gewesen, daß sie schon nach so kurzer Bekanntschaft mit einem Mann intim werden würde?
    Er drückte die Augen zu.
    Was änderte es, daß Mr. Sage nur nach Cotes Hall hinausgegangen war, um mit ihr über Maggie zu sprechen? Der Dorfpolizist war auch nur hinausgefahren, um eine Frau zu verwarnen, die mit einer Schrotflinte auf kleine Jungen geschossen hatte, und binnen einer Stunde hatte er ihr in blindem Begehren die Kleider vom Leib gerissen. Und sie hatte keine Einwände erhoben, sie hatte nicht versucht, ihm Einhalt zu gebieten. Im Gegenteil, sie war so aggressiv gewesen wie er. Was war das für eine Frau?
    Eine Sirene, dachte er und versuchte, die warnenden Worte seines Vaters zu verdrängen. Bei einer Frau muß man immer die Oberhand haben, Junge, und man muß die Oberhand behalten. Von Anfang an. Die machen dich zum Waschlappen, wenn du

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