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06 - Denn keiner ist ohne Schuld

06 - Denn keiner ist ohne Schuld

Titel: 06 - Denn keiner ist ohne Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
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ihnen nur die kleinste Chance gibst.
    Hatte sie das mit ihm getan? Und mit Sage auch? Er meint es gut, hatte sie gesagt. Sie sei, was das Kind anging, am Ende ihrer Weisheit angelangt und wollte sich daher dem Pfarrer nicht verschließen, wenn dieser Hilfe anböte.
    Sie hatte ihm forschend ins Gesicht geblickt. »Du traust mir nicht, Colin, nicht wahr?«
    Nein. Nicht einen Schritt. Dennoch sagte er: »Aber natürlich vertraue ich dir.«
    »Du kannst auch kommen, wenn du möchtest. Am Tisch zwischen uns sitzen. Aufpassen, daß ich nicht meinen Schuh ausziehe und meinen Fuß an seinem Bein reibe.«
    »Das will ich nicht.«
    »Was dann?«
    »Ich möchte einfach, daß zwischen uns alles klar ist. Ich möchte, daß alle es wissen.«
    »Das ist nicht möglich.«
    Und nun, solange nicht Scotland Yard sie von allem Verdacht reinwusch, würde es erst recht nicht möglich sein. Denn er wußte, daß er - nun einmal abgesehen von all ihren Hinweisen auf den Altersunterschied - Juliet Spence nicht heiraten und gleichzeitig seine Position in Winslough behalten konnte, solange jedes gemeinsame Auftreten in der Öffentlichkeit unüberhörbares Getuschel auslöste. Und er konnte Juliet nicht einfach heiraten und mit ihr aus Winslough weggehen, wenn er sich nicht mit ihrer Tochter überwerfen wollte. Er saß in einer selbstverschuldeten Zwickmühle. Nur New Scotland Yard konnte ihn da herausholen.
    Die Türglocke über seinem Kopf schellte so schrill und unerwartet, daß er zusammenfuhr. Der Hund begann zu bellen. Colin wartete, bis er aus dem Wohnzimmer gesprungen kam.
    »Ruhig!« sagte er. »Sitz!«
    Leo gehorchte, den Kopf zur Seite geneigt. Colin öffnete die Tür.
    Die Sonne war untergegangen. Schon war es fast stockdunkel. Unter der Lampe auf der Veranda, die er zum Empfang von New Scotland Yard eingeschaltet hatte, stand Polly Yarkin. Mit einer Hand zerknäulte sie ihren Schal zwischen den Fingern, mit der anderen hielt sie den Kragen ihres alten marineblauen Mantels zu. Ihr Filzrock reichte bis zu den Knöcheln, und darunter waren ihre abgewetzten Stiefel zu sehen. Verlegen trat sie von einem Fuß auf den anderen, lächelte scheu.
    »Ich hab gerade drüben im Pfarrhaus fertig gemacht, und da hab ich gesehen...«
    Sie warf einen Blick zurück zur Clitheroe Road. »Ich hab gesehen, wie die beiden Herren gegangen sind. Ben im Pub hat gesagt, daß sie von Scotland Yard kommen. Ich hätt' ja keine Ahnung gehabt, wenn mich Ben nicht angerufen hätte - er gehört ja zum Kirchenvorstand, wie du weißt - und mir gesagt hätte, daß sie sich wahrscheinlich das Pfarrhaus würden anschauen wollen. Er hat gesagt, ich soll warten. Aber sie sind gar nicht gekommen. Ist alles in Ordnung?«
    Während sie mit der einen Hand den Mantelkragen fester zuzog, drehte sie mit der anderen die beiden Enden des Schals zusammen. Er konnte den Namen ihrer Mutter darauf erkennen und sah, daß er eines der Souvenirs war, mit denen sie für ihren Laden in Blackpool Reklame machte. Sie hatte Schals, Bierdeckel, bedruckte Streichholzheftchen verteilt - wie die Geschäftsführerin eines schicken Hotels -, und eine Zeitlang, als sie »in aller Reinheit und Wahrhaftigkeit sicher« gewesen war, daß der Tourismus aus dem Orient bald ein nie dagewesenes Ausmaß erreichen würde, hatte sie sogar kostenlos Eßstäbchen ausgegeben. Rita Yarkin - alias Rita Rularski - war die geborene Unternehmerin.
    »Colin?«
    Er wurde sich bewußt, daß er den Schal anstarrte und darüber nachdachte, warum Rita ausgerechnet ein schreiendes Grasgrün gewählt und dessen Farbe dann mit scharlachroten Rauten verziert hatte. Er richtete sich auf, warf einen Blick zu Leo hinunter und sah, daß dieser freudig mit dem Schwanz wedelte. Der Hund kannte Polly.
    »Ist alles in Ordnung?« fragte sie wieder. »Ich hab deinen Vater auch weggehen sehen. Ich hab ihn angesprochen - ich war gerade dabei, die Veranda zu fegen -, aber er hat mich anscheinend nicht gehört. Jedenfalls hat er nicht geantwortet. Deshalb wollte ich wissen, ob alles in Ordnung ist.«
    Er wußte, daß er sie nicht da draußen auf der kalten Veranda stehen lassen konnte. Er kannte sie schließlich seit frühester Kindheit, und selbst wenn das nicht der Fall gewesen wäre, sie war, so schien es jedenfalls, aus freundschaftlicher Anteilnahme gekommen.
    »Komm rein.«
    Er schloß die Tür hinter ihr.
    Im Vorraum blieb sie stehen, knüllte ihren Schal zusammen und drehte ihn mehrmals in den Händen, ehe sie ihn schließlich in

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