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06 - Denn keiner ist ohne Schuld

06 - Denn keiner ist ohne Schuld

Titel: 06 - Denn keiner ist ohne Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
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verschwiegenen Fußweg zum Häuschen, obwohl er nichts zu verbergen hatte? Obwohl er ein Auto hatte? Obwohl er mit dem Auto viel schneller dagewesen wäre? Obwohl die Nacht kalt war?
    So kalt wie damals im Dezember, als Robin Sage den gleichen Weg zum selben Ziel gegangen war. Robin Sage, der ein Auto besaß, der hätte fahren können, der es vorzog, zu Fuß zu gehen, obwohl Schnee lag, obwohl für die Nacht weitere Schneefälle vorausgesagt waren. Warum war Robin Sage an jenem Abend zu Fuß gegangen?
    Er liebte Bewegung, frische Luft, das Wandern auf dem Hochmoor, sagte sich Colin. Er hatte Sage in den zwei Monaten, die dieser vor seinem Tod in Winslough gelebt hatte, oft genug mit Gummistiefeln und Spazierstock im Dorf und der Umgebung gesehen. Zu seinen Besuchen bei den Dorfbewohnern war er stets zu Fuß gegangen. Und zu Fuß war er auch zur Gemeindewiese gegangen, um die Enten zu füttern. Weshalb hätte er Juliet Spence im Verwalterhäuschen von Cotes Hall nicht auch zu Fuß aufsuchen sollen?
    Wegen der Entfernung, des Wetters, der Jahreszeit, der Kälte, der Dunkelheit. Die Antworten kamen Colin ganz von selbst, und sogleich stand ihm die Tatsache vor Augen, die er die ganze Zeit zurückzudrängen suchte. Niemals hatte er Sage nach Einbruch der Dunkelheit zu Fuß unterwegs gesehen. Wenn der Pfarrer abends noch außerhalb des Dorfs zu tun gehabt hatte, hatte er seinen Wagen genommen. Er hatte das auch das einzige Mal getan, als er zur Skelshaw Farm hinausgefahren war, um Nick Wares Eltern aufzusuchen. Und er hatte es bei seinen Besuchen auf den übrigen Höfen ebenso gehalten.
    Und auch zu den Townley-Youngs war er mit dem Auto gefahren, als diese ihn kurz nach seiner Ankunft in Winslough zum Abendessen eingeladen hatten, bevor St. John Andrew Townley-Young die tiefverwurzelte Sympathie für die Low Church erkannt und ihn von seiner Liste erstrebenswerter Bekanntschaften gestrichen hatte. Warum also war Sage zu Juliet zu Fuß gegangen?
    Der Gedanke, den er bisher abzuwehren versucht hatte, brach sich Bahn: Sage hatte nicht gesehen werden wollen, ebenso wie Colin selbst nicht dabei ertappt werden wollte, daß er ausgerechnet am Abend jenes Tages, an dem New Scotland Yard im Dorf erschienen war, Juliet Spence besuchte. Gib es zu! Gib es doch zu...
    Nein, dachte Colin. Das war nur ein Angriff des giftigen grünäugigen Ungeheuers auf Vertrauen und Glauben. Wenn er ihm nachgab, so bedeutete das den sicheren Tod der Liebe und die Vernichtung all seiner Zukunftshoffnungen.
    Er beschloß, nicht mehr darüber nachzudenken, und knipste, um sich selbst in seinem Vorsatz zu bestärken, die Taschenlampe aus. Obwohl er den Fußweg seit fast dreißig Jahren kannte, mußte er sich ganz darauf konzentrieren, um nicht über irgendeine Unebenheit zu straucheln. Doch die Sterne halfen ihm.
    Leo trabte voraus. Colin konnte ihn nicht sehen, doch er konnte das Brechen der dünnen Eisdecke unter den Pfoten des Hundes hören und mußte lächeln, als Leo beim Überspringen einer Mauer übermütig bellte. Einen Augenblick später schon begann der Hund richtig zu bellen. Und dann rief ein Mann: »Nein! Nein! Immer mit der Ruhe!«
    Colin knipste die Taschenlampe wieder an und ging schneller. Leo rannte vor der nächsten Mauer hin und her und sprang immer wieder an einem Mann hoch, der auf dem Treppchen saß, das über die Mauer führte. Colin leuchtete ihm ins Gesicht. Der Mann kniff die Augen zusammen und fuhr zurück. Es war Brendan Power. Der Anwalt hatte eine Taschenlampe bei sich, benützte sie jedoch nicht.
    Colin befahl dem Hund, Ruhe zu geben. Leo gehorchte, hob jedoch einen Vorderlauf und scharrte eifrig am rauhen Stein der Mauer, als wollte er den anderen Mann begrüßen.
    »Tut mir leid«, sagte Colin. »Hoffentlich hat er Sie nicht zu sehr erschreckt.«
    Powers Pfeife glühte schwach, und ein süßlicher Tabaksgeruch hing in der Luft. Laffentabak, hätte Colins Vater verächtlich gesagt. Wenn du schon rauchst, Junge, dann wenigstens etwas, das beweist, daß du ein Mann bist.
    »Nicht so schlimm«, sagte Power und hielt dem Hund seine Hand hin, um ihn daran schnuppern zu lassen. »Ich bin ein Stück gelaufen. Ich dreh abends gern noch mal eine Runde, wenn es geht. Ein bißchen Bewegung tut gut, wenn man den ganzen Tag am Schreibtisch gesessen hat. Hält einen in Form.«
    Er paffte an seiner Pfeife und schien auf eine ähnliche Erwiderung von Colin zu warten.
    »Waren Sie drüben beim Herrenhaus?«
    »Beim Herrenhaus?«
    Power

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