06 - Der Schattenkrieg
Sekunden, die ihm wie Stunden vorkamen, schwenkte er die Kanone hin und her und bildete sich ein, jede Kugel zu hören, die sie ausspuckte. Sein Kopf wurde zurückgerissen, als etwas seinen Helm traf, aber er drückte weiter auf den Abzug und ließ einen Feuerregen auf das Gebiet niedergehen. Auf einmal erkannte er, daß die Ziele unter ihm verschwanden und er die Hände heben mußte, um den Lauf der Waffe nach unten zu richten. Einen Moment lang kam es ihm vor, als entkämen die Ziele, nicht er. Dann war es vorbei. Zuerst konnte er die Hände nicht von der Kanone lösen. Erst als er einen Schritt zurücktrat, fielen sie schlaff herunter. Ryan schüttelte heftig den Kopf. Er war halb taub von dem Getöse der Minikanone und hörte erst nach Sekunden die schrillen Schreie der Verwundeten. Er schaute sich um und stellte fest, daß die Maschine mit beißendem Pulverdampf gefüllt war, der aber rasch vom stärker werdenden Fahrtwind verweht wurde. Seine Augen litten noch unter den Nachwirkungen des Mündungsfeuers; er stand wacklig auf den Beinen. Am liebsten hätte er sich hingesetzt, um einzuschlafen und anderswo wieder zu erwachen.
Ganz in seiner Nähe schrie jemand. Es war Zimmer, der auf dem Rücken lag, seine Brust umschlungen hatte und sich wälzte. Ryan ging nach ihm schauen.
Zimmer hatte drei Kugeln in die Brust bekommen und atmete in einem feinen rosa Nebel Blut aus. Ein Geschoß hatte seine rechte Schulter zerschmettert; wirklich ernsthaft aber waren die Lungenschüsse. Ryan erkannte sofort, daß der Mann vor seinen Augen verblutete. Gab es hier einen Sanitäter? Konnte der vielleicht helfen?
»Hier Ryan«, sagte er über die Sprechanlage. »Sergeant Zimmer ist schwer verwundet.« »Buck!« rief PJ sofort. »Buck, was ist los?« Zimmer versuchte zu antworten, aber seine Verbindung zur Bordsprechanlage war weggeschossen worden. Er brüllte etwas Unverständliches; Ryan drehte sich um und schrie die anderen, die sich um nichts zu kümmern schienen, an. »Sanitäter!« Clark hörte ihn und setzte sich in Bewegung.
»Kommen Sie, Zimmer, wir kriegen Sie schon wieder hin«, sagte Jack. Er wußte aus seiner kurzen Dienstzeit bei den Marines, daß man Verwundeten den Überlebenswillen stärken mußte. »Das verbinden wir, und dann wird alles wieder gut. Ohren steif halten, Sergeant… das tut weh, aber Sie kommen durch.«
Einen Augenblick später war Clark zur Stelle. Er zog dem Bordingenieur die kugelsichere Weste aus, ohne sich um die Schmerzensschreie zu kümmern. Auch für Clark war das eine Rückkehr in die Vergangenheit; irgendwie hatte er vergessen, wie entsetzlich so etwas war. Er fing sich zwar rascher als die anderen, aber der Horror, unter Feuer und danach hilflos zu sein, hatte ihn fast übermannt. Und nun war er hilflos. Das sah er an der Position der Schußwunden. Clark hob den Blick zu Ryan und schüttelte den Kopf.
»Meine Kinder!« schrie Zimmer. Der Sergeant hatte einen Grund zum Überleben, aber der Wille allein reichte nicht.
»Erzählen Sie mir von Ihren Kindern«, sagte Ryan. »Sieben… ich habe sieben Kinder… ich muß, ich darf nicht sterben! Meine Kinder brauchen mich.«
»Immer mit der Ruhe, Sergeant, wir schaffen Sie hier raus. Sie kommen durch.« Tränen trübten Ryans Augen; er schämte sich, einen Sterbenden zu belügen.
»Sie brauchen mich doch!« Nun, da das Blut seinen Hals und seine Lungen zu füllen begann, klang seine Stimme schwächer.
Ryan schaute zu Clark auf und hoffte auf ein Wort des Trostes, aber Clark starrte ihm nur in die Augen. Er wandte sich wieder Zimmer zu und ergriff seine Hand.
»Sieben Kinder?« fragte Jack.
»Sie brauchen mich«, jammerte Zimmer, der nun erkannte, daß er sie nie mehr wiedersehen würde, daß er nicht miterleben durfte, wie sie erwachsen wurden, heirateten und selbst Kinder bekamen. »Ich will Ihnen über Ihre Kinder etwas sagen, was Sie noch nicht wissen«, sagte Ryan zu dem Sterbenden.
»Was?« Zimmer wirkte verwirrt und starrte Ryan an, als wüßte der eine Antwort auf die letzte Frage des Lebens. Die kannte Jack zwar auch nicht, aber er tat, was er für den Mann tun konnte. »Die werden alle studieren, Mann.« Ryan drückte Zimmer fest die Hand. »Sie haben mein Wort, Zimmer, dafür werde ich sorgen. Das schwöre ich bei Gott.«
Daraufhin veränderte sich das Gesicht des Sergeants etwas, aber ehe Ryan die Miene entschlüsseln konnte, trat wieder eine Veränderung ein; nun wirkte der Mann ganz teilnahmslos. Ryan drückte auf den Knopf der
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