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06 - Der Schattenkrieg

06 - Der Schattenkrieg

Titel: 06 - Der Schattenkrieg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Clancy
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seiner Sichtweite wohnte, durfte weiterleben, wenn es nicht sein Wille war. Nur auf diese Macht kam es an, und sie hatte er zahllose Male ausgeübt. Eine Handbewegung, eine lässige Bemerkung, und es war getan. Unbeschränkte Macht, die einen Mann zum Wahnsinn treib en konnte. Doch er studierte die Welt und die Geschichte, denn ihm war, für seinesgleichen ungewöhnlich, von seinem Vater, einem der Pioniere, ein Studium aufgedrängt worden, und sein größter Kummer im Leben war, daß er keine Gelegenheit gehabt hatte, sich dafür bei ihm zu bedanken. Auf dem Gebiet der Ökonomie kannte er sich so gut aus wie jeder Volkswirtschaftsprofessor; er verstand Marktmechanismen und Trends und die Kräfte, die sie bewirkten. Er hatte sich auch mit dem Marxismus beschäftigt und lehnte ihn aus einer Vielzahl von Gründen ab; andererseits aber gestand er zu, daß sich hinter dem politischen Jargon mehr als ein Quentchen Wahrheit verbarg. Während sein Vater das Geschäft auf eine ganz neue Grundlage gestellt hatte, war er am Beobachten, Beraten und Agieren gewesen. Er hatte unter der Aufsicht seines Vaters neue Märkte erschlossen und sich den Ruf eines sorgfältigen, gründlichen Planers erworben, der oft gesucht, aber nie verhaftet worden war. Einmal nur hatte man ihn festgenommen, aber nach dem Tod zweier Zeugen waren die anderen jäh vergeßlich geworden, und damit hatte seine direkte Erfahrung mit Polizei und Gerichten ein Ende genommen. Er sah sich als in eine andere Epoche gehörig - als klassischen kapitalistischen Räuberbaron. Vor hundert Jahren hatten diese Männer Gleise durch die Vereinigten Staaten getrieben und alles, was sich ihnen in den Weg stellte, vernichtet. Indianer die wurden behandelt wie die zweibeinige Version des Büffels. Gewerkschaften mit Hilfe gedungener Schläger neutralisiert. Regierungen bestochen und unterwandert. Nur die Presse hatte weiterkrähen dürfen, bis zu viele Leute aufhorchten. Daraus hatte er gelernt. Die Journalisten in seinem Lande hielten sich zurück, nachdem ihnen ihre Sterblichkeit demonstriert worden war. Hier aber hatte die historische Parallele ein Ende. Die Goulds und Harrimans, das war eine Tatsache, die er ignorierte, hatten nämlich etwas gebaut, das für ihr Land nützlich und nicht destruktiv war. Eine andere Lektion des neunzehnten Jahrhunderts, die er sich zu Herzen genommen hatte, war die Schädlichkeit des unbarmherzigen Konkurrenzkampfes, und aufgrund dieser Erkenntnis überredete er seinen Vater zu Kontakten mit seinen Konkurrenten. Geschickt hatte er einen Zeitpunkt gewählt, zu dem Druck von außen die Zusammenarbeit attraktiv machte. Lieber gemeinsam arbeiten, hatte man argumentiert, als Zeit, Geld, Energie und Blut zu vergeuden - und sich nur noch verletzlicher zu machen. Und es hatte funktioniert.
Sein Name war Ernesto Escobedo. Im Kartell war er nur einer unter vielen, doch seine Kollegen hörten auf ihn. Zwar mochten nicht alle mit ihm einig sein oder sich seinem Willen beugen, aber man schenkte seinen Ideen die gebührende Aufmerksamkeit, denn sie hatten sich oft als durchschlagend erwiesen. Das Kartell hatte keinen Führer, da es als Kollektiv handelte fast wie ein Komitee, fast als Freunde, aber doch nicht ganz so. Der Vergleich mit der Mafia in Amerika drängte sich auf, aber das Kartell war zivilisierter und brutaler zugleich.
Escobedo war vierzig, ein Mann mit viel Energie und Selbstvertrauen. Sein Produkt hatte er nie probiert und trank höchstens einmal ein Glas Wein zum Essen. Seine Enthaltsamkeit trug ihm den Respekt seiner Geschäftsfreunde ein. Escobedo war ein ernster, nüchterner Mann, der auf sein Äußeres achtete und sich in Form hielt. Das Rauchen hatte er sich schon in der Jugend abgewöhnt. Er achtete auf seine Ernährung. Seine Mutter war trotz ihrer fünfundsiebzig Jahre rüstig; auch seine Großmutter war mit einundneunzig noch am Leben. Und sein Vater wäre letzte Woche fünfundsiebzig geworden, wenn nicht… Doch die Mörder seines Vaters hatten bitter bezahlen müssen, zusammen mit ihren Familien, und größtenteils von Escobedos Hand. Seiner Rache entsann er sich mit Stolz: Er hatte die Frau des letzten genommen, während ihr sterbender Mann zusah, um sie und die beiden Kleinen dann zu töten, ehe er die Augen schloß. Das Töten von Frauen und Kindern bereitete ihm kein Vergnügen, war aber manchmal unvermeidlich. Er hatte bewiesen, wer der Stärkere war, und von nun an war es unwahrscheinlich, daß sich jemand noch einmal an

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