06 - Der Schattenkrieg
seiner Familie vergriff. Die Tatsache, daß er persönlich Rache genommen hatte, ohne sich gedungener Mörder zu bedienen, hatte ihm in der Organisation Respekt eingetragen. Escobedo galt als Denker, aber auch als ein Mann, der notfalls hinlangen konnte.
Sein Reichtum war so groß, daß Zählen sinnlos erschien. Er hatte Macht über Leben und Tod. Er hatte eine schöne Frau und drei prächtige Söhne. Als die Ehe schal wurde, standen ihm Mätressen zur Auswahl. Er hatte allen Luxus, den man mit Geld kaufen konnte. Er besaß Häuser unten in der Stadt, seine Bergfestung, Ranchos am Meer an beiden Meeren, denn Kolumbien grenzt an Atlantik und Pazifik. In den Ställen seiner Ranchos standen arabische Pferde. Manche seiner Geschäftspartner besaßen private Stierkampfarenen, aber auch für diesen Sport hatte er sich nie interessiert. Er war ein vorzüglicher Schütze und jagte alles, was in seinem Lande kreuchte und fleuchte Menschen eingeschlossen. Im Grunde müßtest du zufrieden sein, sagte er sich. Doch etwas ließ ihm keine Ruhe. Die amerikanischen Großkapitalisten hatten die Welt bereist, hatten Einladungen an die Höfe von Europa erhalten und ihre Sprößlinge an den Hochadel verheiratet. Ihm aber war der Zugang zur Gesellschaft verschlossen, und obgleich die Gründe auf der Hand lagen, wurmte es ihn doch, daß einem so reichen und mächtigen Mann wie ihm etwas vorenthalten wurde. Früher war das anders gewesen. »Was schert mich das Gesetz?« hatte ein Eisenbahnkönig einmal gesagt und war nach Belieben in der Welt umhergereist, hatte als großer Mann gegolten.
Warum also nicht Escobedo? Einerseits wußte er die Antwort, andererseits wollte er sie nicht wahrhaben. Er hatte es nicht so weit gebracht, um sich an die Regeln anderer halten zu müssen. Nun gut, die anderen würden lernen müssen, sich seinen Regeln anzupassen. Und nach diesem Entschluß begann er zu überlegen, wie er auszuführen war.
Was hatte anderen geholfen, sich durchzusetzen? Die naheliegendste Antwort lautete: Erfolg. Was man nicht besiegen konnte, mußte man anerkennen; eine der wenigen Regeln, die für Weltkonzerne ebenso galt wie in der internationalen Politik. Kein Land der Welt, das nicht mit Mördern paktierte: Die fraglichen Mörder hatten nur Durchsetzungsvermögen zu beweisen. Machte nicht jede Nation der Welt einen Kotau vor den Chinesen, die Millionen ihrer Landsleute auf dem Gewissen hatten? War Amerika nicht bemüht, zu einer Übereinkunft mit den Russen zu kommen, deren Regierung ebenfalls gegen die eigene Bevölkerung gewütet hatte? Unter Carter hatte Amerika das mörderische Pol-PotRegime unterstützt. Ein Land, das eine so prinzipienlose Außenpolitik führte, mußte letzten Endes auch ihn und seine Geschäftsfreunde anerkennen.
Daß Amerika korrupt war, stand für Escobedo fest, denn schließlich leistete er dem inneren Verfall des Landes Vorschub. Seit Jahren schon arbeiteten Kräfte in seinem größten und wichtigsten Abnehmerland auf die Legalisierung von Drogen hin; zum Glück ohne Erfolg. Das wäre nämlich eine Katastrophe für das Kartell gewesen. Wieder einmal ein Beweis, daß die US-Regierung unfähig war, in ihrem eigenen Interesse zu handeln. Verbrauchssteuern auf Drogen hätten dem Staat Milliarden einbringen können die ihm und seinen Kollegen zuflössen, aber es fehlte der Administration die Vision und Vernunft, die entsprechenden Maßnahmen zu ergreifen. Und so etwas nannte sich eine Großmacht. Trotz ihrer angeblichen Stärke mangelte es den yanquis an Willen, an Männlichkeit. In seinem Land bestimmte er, sie aber nicht in ihrem. Gut, sie konnten die Meere beherrschen, den Himmel mit Kriegsflugzeugen füllen aber setzten sie diese Mittel zum Schutz ihrer eigenen Interessen ein? Er schüttelte amüsiert den Kopf.
Nein, die Amerikaner waren seines Respekts nicht würdig.
6
Abschreckung
Felix Cortez reiste mit einem costaricanischen Paß. Wenn jemandem sein kubanischer Akzent auffiel, erklärte er, seine Familie sei aus Kuba ausgewandert, als er noch ein Kind war. Cortez sprach außer Spanisch noch Englisch und Russisch. Der etwas verwegen aussehende Mann trug einen gepflegten Schnurrbart und einen Maßanzug, der ihn als erfolgreichen Geschäftsmann auswies. Er wartete in der Schlange vor der Paßkontrolle und unterhielt sich mit der Frau, die hinter ihm stand, bis er an die Reihe kam.
»Guten Tag, Sir«, sagte der Beamte der Einreisebehörde und schaute kaum von seinem Paß auf. »Was führt Sie nach
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