06 - Weihnacht
während der Sheriff in anderer Weise versuchen wird, seiner habhaft zu werden. Ich habe nur gewartet, um Mr. Shatterhand noch um Verzeihung zu bitten, daß ich so dumm und grob gewesen bin. Ich erkläre hiermit feierlichst, daß ich den sogenannten Mr. Meier nicht mehr für einen ‚reinen Garnichts‘ halte! Seid Ihr damit zufrieden?“
„Yes!“ lachte ich.
„Der Teufel selbst wäre nicht klug genug gewesen, in diesem frommen Manne einen solchen Halunken zu vermuten!“
„Oh, was das betrifft, so muß ich Euch fragen, ob Ihr den Zettel gelesen habt, den Euch gestern ein Knabe in das Zimmer brachte. Ihr hattet gesagt, daß Ihr ihn in einem Jahre beantworten wollt.“
„Den – – den habe ich wohl noch in der Westentasche. Was steht darauf? Wo ist er denn?“
Er brachte ihn heraus, las ihn und sah mich betroffen an.
„Diesen Zettel habe ich geschrieben, um Euch zu warnen“, erklärte ich ihm. „Hättet Ihr ihn gelesen und befolgt! Nun seht Ihr wohl ein, daß es auch gar nicht der Pfiffigkeit des Teufels bedurfte, den Prayer-man zu durchschauen. Nur die Augen muß man offen haben; Ihr aber habt sie mit Gewalt zugedrückt!“
Damit ließ ich ihn stehen.
Man hatte für Winnetou das beste Zimmer des Hauses hergerichtet; dahin begaben wir uns, um der Neugierde der Leute zu entgehen, welche alle uns sehen und sprechen hören wollten. Wir befanden uns kaum dort, so kam der Oberkellner, um uns zu bedienen, doch war seine Hauptabsicht, dem Häuptling seinen Wunsch, uns begleiten zu dürfen, vorzutragen. Er tat das unter tiefen Verbeugungen in seiner höflichen Weise. Winnetou hatte keine Lust; ich sprach aber für den jungen Mann, der sich so brav gewehrt hatte, sein Ziel zu erreichen, und so entschied der Apatsche, daß er eine Ausnahme machen und es wagen wollte, einen Fremden, der zudem gar kein Westmann sei, mitzunehmen, nur müsse Rost ein gutes Pferd haben und auch beweisen können, daß er ein leidlicher Reiter sei. Da bat uns der Bittsteller, nur eine Viertelstunde zu warten und dann in den Hof zu blicken.
Nach der angegebenen Zeit erschien er unten auf einem gar nicht üblen Braunen und ritt die Schule in einer Weise durch, daß Winnetou ihn heraufwinkte, um ihm zu sagen, daß er sich noch heute mit allem zur Reise Notwendigen versehen und dann morgen frühzeitig zum Aufbruche bereithalten solle. Der gute Mensch war fast außer sich vor Freude und rannte fort, um den Gästen unten sein großes Glück zu verkünden. Schon hatte er die Tür hinter sich zugemacht, da öffnete er sie noch einmal und sagte unter einer tiefen Verneigung:
„Mylords, ich versichere noch einmal, daß heut der schönste Tag meines Lebens ist, und bitte dringend um die Erlaubnis, daß mir eine innere Stimme sagt, ihr werdet die mir erteilte, ehrenvolle Erlaubnis nie zu bereuen haben!“
DRITTES KAPITEL
Old Jumble
Es war drei Wochen später, als wir uns mitten in den Bergen des jetzigen Albanybezirkes im Südosten von Wyoming befanden. Im Norden von uns hob sich der Conical Peak und hinter ihm das Squawgebirge empor, und weiter entfernt lagen die dunklen Massen des Rees- und Laramie-Peaks. Links von uns sahen wir die Höhen der Jelm - und der Sheepkette am fernen Horizont verschwinden, während rechts davon die Elk-Mountains mit einem leisen, kaum wahrnehmbaren Striche angedeutet wurden. Wir befanden uns also auf der weiten, außerordentlich fruchtbaren Laramie-Ebene und hatten für heut den Lake Jone zum Ziele, an dessen Ufer wir übernachten wollten.
Um einen kurzen Blick zurückzutun, will ich erwähnen, daß ich den in St. Joseph gekauften Anzug Frau Hiller zum Aufheben übergeben und sie beauftragt hatte, die für mich aus St. Louis eingehenden Honorargelder anzunehmen und zu quittieren. Unser Ritt bis hierher war ein sehr schneller und angestrengter gewesen, hatte uns aber kein besonderes Erlebnis gebracht. Mit Dr. Rost waren wir zufrieden. Er hatte sich trotz der Kleinheit und scheinbaren Schwächlichkeit seines Körpers als ausdauernder Reiter und aufmerksamer, dienstfertiger Kamerad bewiesen und uns durch seine große Höflichkeit manchen heimlichen Spaß gemacht. Wir wurden auch jetzt noch von ihm nur Mylords genannt und sehr häufig um die Erlaubnis gebeten, daß ‚eine innere Stimme ihm etwas sagen dürfe‘. Wie er sich in gefährlichen Lagen, in denen es ganz anders aufzupassen gab als bisher, verhalten würde, das war noch abzuwarten, doch hoffte ich, auch dann nicht bereuen zu müssen, daß ich seinen
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