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06 - Weihnacht

06 - Weihnacht

Titel: 06 - Weihnacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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müssen, obgleich sie vorher wahrscheinlich reich gewesen ist? Konnte mein Bruder denn gar nichts für sie tun, ihr kein Geld für die Reise, für Nahrung und Kleidung geben?“
    „Ich war damals noch ein Knabe und selbst sehr arm!“
    Daß ich sie dennoch beschenkt hatte, sagte ich nicht, denn das Prahlen mit Wohltaten liebte er ebensowenig wie ich. Er war gegen seine Mitmenschen, ganz gleichgültig, ob rot oder weiß, von einer Aufopferung und Mildtätigkeit, die selbst den Tod nicht scheute, pflegte aber kein Wort darüber zu verlieren. Ich hörte ihn oft sagen, was man für unglückliche Menschen tue, das tue man für den großen, guten Manitou, und wie man sich mit diesem, dem hoch Erhabenen, stehe, das dürfe man keinem Menschen, der gegen ihn ein Nichts sei, ausplaudern.
    „Der Mann dieser Squaw wird also Nana-po genannt; ich muß diesen Namen schon einmal gehört haben. Nana-po – – –Nana-po – – – ja, jetzt finde ich es! Er nahm sich eines Sambitschekriegers an, welcher vom Felsen gestürzt war, und pflegte ihn so lange, bis er zu den Seinen zurückkehren konnte; dieser Krieger hat es mir selbst erzählt. Wer so an einem Fremden handelt, der ist ein guter Mann und darf nicht am Marterpfahle der Krähen sterben. Wir werden ihn, falls er noch lebt, wenn wir hinaufkommen, ihnen zu entreißen versuchen. Jetzt wollen wir gehen; es braucht niemand zu wissen, daß wir noch einmal gesucht und etwas gefunden haben.“
    Als wir hinunter in den Hof kamen, stand dieser voller Menschen. Es hatte sich schnell in der Stadt herumgesprochen, wer hier im Hotel zu sehen sei, und nun waren sie gekommen, die lieben, neugierigen ‚Sympathievögel‘, und wir wußten, daß sie uns nun bis zum Augenblicke unserer Abreise umflattern würden. Winnetou schloß sofort den Stall zu und steckte den Schlüssel ein, um wenigstens unsern Pferden die ihnen gehörige Ruhe zu sichern, denn daß die Wißbegierde sich auch auf sie richten würde, das war mit Sicherheit vorauszusehen.
    Wir wollten uns nach dem Gastzimmer begeben, wo Hiller zurückgeblieben war; dieser aber kam jetzt heraus, um uns zu suchen. Er meldete uns, daß seine Mutter einen Boten gesandt habe, er solle sofort nach Hause kommen, es sei etwas Hochwichtiges geschehen; sie lasse auch mich bitten, mitzukommen.
    „Sind Leute in der Gaststube?“ fragte ich ihn.
    „Alles voll!“ lachte er. „Es kann fast kein Apfel zu Boden fallen, und vor dem Hause stehen sie auch so dicht. Alles will Winnetou und Old Shatterhand sehen.“
    „So gehen wir beide mit Ihnen. Führen Sie uns einen möglichst freien Weg, wo wir nicht gesehen werden! Schaustücke für Jahrmärkte und Vogelschießen sind wir nicht!“
    Es war für ihn aber unmöglich, diesen Wunsch zu erfüllen. Man bemühte sich zwar, uns Platz zu machen, aber es waren der Menschen so viele, daß wir nur langsam hindurchkamen. Und als wir die Straße erreicht hatten, standen noch mehr da, durch welche wir uns förmlich drängen mußten; dann kamen sie hinter uns her und blieben, als wir bei Frau Hiller eingetreten waren, dort vor dem Hause stehen.
    Sie wußte noch nicht, daß Winnetou gekommen war, und war von seinem Anblicke so überrascht und seelisch ergriffen, daß sie ganz bewegungslos stand und keine Worte zur Begrüßung fand. Ihre innere Bewegung war so tief, daß sie ihr die Tränen in die Augen trieb. Diesen ergreifenden Eindruck seiner Persönlichkeit hatte ich schon oft beobachtet und mich dabei stets selbst auch ergriffen gefühlt. Es kam zu seiner unwiderstehlich wirkenden Erscheinung ja noch das ruhmesreiche Bild, welches die geschäftige Fama allüberall von ihm verbreitet hatte. Er sah ihre Sprachlosigkeit und ihre Augen in Wasser schwimmen, reichte ihr die Hand und sagte:
    „Winnetou kommt, um seiner guten, weißen Schwester zu sagen, daß er ihr Freund ist und sich vorgenommen hat, ihr Leid zu stillen, wenn es ihm und seinem Bruder Scharlih möglich ist!“
    Er pflegte meinen Vornamen Karl als Scharlih auszusprechen. Sie antwortete auch hierauf nicht und zog, ehe er es hindern konnte, seine Hand an ihre Lippen, um sie zu küssen. Ich hätte ihr die ihrige hundertmal dafür küssen mögen, so freute ich mich über diesen wortlosen, aber um so deutlicheren Beweis der Bewunderung, welcher zu widerstehen ihr unmöglich war. Auch als wir schon im Zimmer waren und er in der ihm eigenen, unnachahmlichen Weise Platz genommen hatte, konnte sie kaum die Augen von ihm wenden und mußte von ihrem Sohne

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