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06 - Weihnacht

06 - Weihnacht

Titel: 06 - Weihnacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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so genau betrachtet haben.“
    „Sonderbar! Ich würde daraus grad das Gegenteil schließen.“
    „Wieso?“
    „Mir würde eine innere Stimme sagen: Grad weil sie die Spur so angesehen haben, wußten sie nicht, wer die waren, die sie vor sich hatten.“
    „Das beweist weiter nichts, als daß Ihr kein Westmann seid. Wenn man auf eine fremde Fährte stößt, so liest man sie und folgt ihr dann so lange, als sie keine Veränderung bietet oder es keinen sonstigen Grund zum Aufenthalte gibt. Die zwei Reiter aber sind abgestiegen und haben sich mit der Spur an einer Stelle beschäftigt, wo sie nicht den geringsten Grund zu dieser besondern Aufmerksamkeit bot, sondern ganz genau dieselbe war wie vorher. Sie haben also nicht nach etwas suchen wollen, was sie noch nicht wußten, sondern sich nur noch einmal überzeugen wollen, daß es die Fährte sei, der sie zu folgen hatten. Die Spuren, und folglich auch die drei Reiter, waren ihnen also bekannt. Wahrscheinlich wollten sie auch bloß wissen, wie groß die Entfernung zwischen diesen und ihnen war. Dieser Umstand bringt mich natürlich auf eine weitere Frage, welche für uns höchst wichtig werden kann.“
    „Natürlich? Ich finde keine Frage, am allerwenigsten eine, die aus dem, was Ihr gesagt habt, so natürlich zu folgen hat!“
    „Davon bin ich überzeugt! Es ist die Frage: Wollen die zwei die drei einholen, oder wollen sie das nicht?“
    „Natürlich wollen sie es, da sie doch zu ihnen gehören!“
    „Das ist nicht mit solcher Festigkeit hinzustellen. Wenn ich von ihrer Zusammengehörigkeit gesprochen habe, so ist die Möglichkeit nicht ausgeschlossen, daß diese sich nicht auf den heutigen Tag, sondern auf eine spätere Zeit, auf ein entferntes Ziel bezieht.“
    „Das ist mir zu verwickelt! Ich kann zwar den Kapuzenmuskel ganz gut von – – –“
    „Von dem rautenförmigen Muskel unterscheiden“, unterbrach ich ihn. „Aber für die jetzige – – –“
    „Entschuldigung, Mylord!“ fiel er mir schnell in die Rede. „Ich hatte dieses Mal nicht den rautenförmigen, sondern den großen, vorderen, gekerbten gemeint; sie gehören aber alle drei zu der Muskelgruppe der Schulter und des Schlüsselbeines. Ich habe zu ihnen nur noch den Aufheber, der auch der geduldige genannt wird, den kleinen, vorderen und gekerbten und den musculus subclaveus zu fügen.“
    „Gut, fügt diese drei noch hinzu, so werden es sechs! Wir können aber alle diese Muskeln ruhig an der Schulter und dem Schlüsselbeine sitzenlassen und wollen uns lieber mit der Fährte beschäftigen, welche uns doch wichtiger ist!“
    „Well, Mylord! Ich folge Euren Worten mit größter Aufmerksamkeit, denn diese Spur ist auf unserm ganzen bisherigen Ritte die erste, welche Eure Aufmerksamkeit so sehr in Anspruch nimmt.“
    „Mich beschäftigen jetzt vor allen Dingen die beiden Fragen: Warum sind die zwei Reiter zurückgeblieben? und: Wollen sie die drei einholen oder nicht? Der Zweck des Rittes ist bei beiden Trupps jedenfalls derselbe; aber die beiden Zurückgebliebenen scheinen dabei irgendeine Absicht zu verfolgen, welche geheim bleiben soll; sie haben sich separiert, um über diese Absicht ungestört und unbelauscht reden zu können. Unter den Verhältnissen, welche hier im wilden Westen herrschen, kann man aber bei neunzig unter hundert Fällen annehmen, daß eine so sorgfältig geheimgehaltene Absicht keine gute, sondern eine schlechte ist. Die drei Reiter haben sich also vor den zwei in acht zu nehmen. Das ist es, was mir diese Spuren sagen.“
    „Mylord, Euer Scharfsinn ist bewundernswert! Ich muß gestehen, daß ich auf diese Gedanken und Schlüsse nie gekommen wäre!“
    „Pshaw! Es ist nicht bloß der Scharfsinn, der mich auf sie bringt, sondern noch etwas anderes, wofür es aber keinen treffenden Ausdruck gibt. Der Westmann eignet sich nämlich nach und nach einen, ich will sagen, sechsten Sinn an, auf den er sich ebenso wie auf die fünf eigentlichen Sinne verlassen kann. Es ist das eine Art geistigen Sehens oder Hörens, eine geheimnisvolle Art der Wahrnehmung, welche nicht von Licht- oder Schallwellen abhängig ist. Man möchte ihn den Ahnungs- oder den Vermutungssinn nennen, wenn Vermutungen und Ahnungen nicht etwas so Unbestimmtes wären, denn dieser sechste Sinn trifft das Richtige mit ganz derselben Sicherheit, wie das Auge einen vor ihm stehenden Gegenstand erfaßt. Der Westmann hat sich diesen Sinn ganz in derselben Weise nach und nach anzuüben, wie das Kind auch

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