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06 - Weihnacht

06 - Weihnacht

Titel: 06 - Weihnacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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darauf aufmerksam gemacht werden, daß sie doch nach uns geschickt habe, weil etwas Wichtiges geschehen sei.
    Da röteten sich ihre Wangen, und ihre Augen strahlten.
    „Ja“, sagte sie, „etwas Hoch-, Hochwichtiges, was allem Leide ein Ende machen und uns das verlorene Glück wahrscheinlich wiederbringen wird. Bitte, lest, Mr. Shatterhand!“
    Sie sprach englisch, weil sie annahm, deutsch von Winnetou nicht verstanden zu werden. Dabei gab sie mir eine Zeitung in die Hand und deutete auf die Stelle, die sie meinte. Es war der noch jetzt bestehende, in St. Louis erscheinende ‚Anzeiger des Westens‘, welcher allen deutschen Lesern warm empfohlen werden kann. Er war das erste auf der Westseite des Mississippi herausgegebene deutsche Blatt, wurde stets in vorzüglicher Weise redigiert, hat bis heutigen Tages die Interessen der Deutschen warm vertreten und war das einflußreichste landsmännische Organ im ganzen Westen, wie er sich auch noch jetzt den besten Blättern des Ostens zur Seite stellen kann. Die betreffenden, an in die Augen fallender Stelle sehr groß gedruckten Zeilen lauteten:
    „!!! – v.H. – – – v.H. – – – v.H. –!!! Die Unschuld ist erwiesen! Der Täter wurde entdeckt und hat alles eingestanden! Sie dürfen offen zurückkehren! Geben Sie, falls Sie nicht gleich kommen können, Ihre genaue Adresse an!
    Treuer Nachbar.“
    Als sie sah, daß ich fertig war, faltete sie die Hände und sagte vor Freude weinend:
    „Endlich, endlich hat Gott sich unser erbarmt; wie danke ich ihm dafür! Wir dürfen in die Heimat zurückkehren, dürfen unsern ehrlichen Namen wieder tragen! Wir bekommen alles, alles wieder, was wir verloren haben! Ja, weine, weine du auch, mein Sohn! Das sind andere, oh, ganz andere Tränen, als die, welche wir bisher vergossen haben. Mit ihnen fließt die ganze Last des Jammers von unserm Herzen, und die Seele wird ebenso frei, wie wir uns in jeder andern Beziehung nun frei fühlen dürfen. Wenn doch mein alter, lieber Vater noch lebte; wenn er doch das hätte erleben dürfen!“
    Der Sohn hatte sich still in eine Ecke gesetzt und verbarg das Gesicht in die Hände. Er wollte das Schluchzen ebenso verbergen, wie er damals in Falkenau als Knabe so wacker mit ihm gekämpft hatte. Niemand konnte ihnen die Freude aufrichtiger gönnen als ich; aber ich war gewöhnt, vorsichtig zu sein. Wenn diese Annonce nicht auf Wahrheit, sondern auf Täuschung beruhte, mußte der Rückschlag später um so tiefer, um so niederschmetternder sein. Darum fragte ich:
    „Dürft Ihr diesem Aufrufe auch wirklich Vertrauen schenken? Handelt es sich nicht vielleicht um eine Falle, die man Euch stellen will, um Euch hinüberzulocken?“
    „Nein, o nein! Dieser Nachbar ist treu und aufrichtig wie Gold. Mit ihm von hieraus zu korrespondieren, wagten wir nicht, aber wir machten mit ihm aus, daß er uns sofort Nachricht geben solle, sobald die Verhältnisse, um welche es sich handelt, für uns eine Wendung zum Bessern nehmen sollten. Da wir nicht wußten, wo wir uns befinden würden, wurde für New York, Cincinnati, Chicago und St. Louis je eine Zeitung bestimmt, in welcher die Benachrichtigung erscheinen sollte; auch über die Form dieser Benachrichtigung wurde ein so genaues Abkommen getroffen, daß wir gar nicht im Zweifel sein können, ob sie von diesem Freunde oder von der Heimtücke eines andern stammt. Nein, wir können so fest glauben und vertrauen, als ob die Wahrheit in eigener Person diese Annonce aufgegeben hätte!“
    „Well, so stecke ich sie also ein!“
    Ich faltete die Zeitung zusammen und schob sie in die Tasche.
    „O nein!“ rief sie da. „Bitte, nehmt mir dieses Blatt nicht! Es ist mir ein Vermögen, ein ganzes Vermögen wert!“
    „Davon bin ich überzeugt. Aber Ihr könnt Euch ein anderes Exemplar verschaffen, wozu wir wahrscheinlich keine Zeit haben. Wir brauchen es.“
    „Wozu, Mr. Shatterhand?“
    „Um es Eurem Manne zu bringen.“
    Das hatte sie nicht erwartet. Sie jauchzte förmlich auf vor Freude:
    „Herrgott! Das wollt Ihr, das? Wollt Ihr das wirklich tun, ihn aufsuchen und ihm diese frohe Botschaft bringen?“
    „Ja. Mein Bruder Winnetou ist einverstanden.“
    „Mein Bruder Scharlih sagt die Wahrheit“, bekräftigte der Häuptling. „Meine gute, weiße Schwester ist im Unglück eine starke Heldin gewesen; das hat der große Manitou gesehen und sie heut dafür mit seiner Hilfe belohnt. Er will es, daß wir zu Nana-po gehen, um ihn aus der Gefangenschaft zu

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