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06 - Weihnacht

06 - Weihnacht

Titel: 06 - Weihnacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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zu können.“
    Wäre er ein anderer gewesen, so hätte ich ihn entweder ausgelacht oder ihm in ganz energischer Weise mitgeteilt, daß ich anderer Meinung sei; er aber sah mir dabei mit so kindlich treuherzigen Augen in das Gesicht und stand überhaupt wie die personifizierte Hilflosigkeit vor mir, daß ich nur eine milde Andeutung über die Lippen brachte:
    „Lieber Carpio, ich habe wenigstens ebenso viele solche Schwarten gelesen und gar, aber auch gar nichts aus ihnen gelernt!“
    „Ja, das bist auch du! Du hast stets mit deinen vielen fremden Sprachen zu tun gehabt und nie derartige Unterhaltungsbücher geliebt; ich aber habe es verstanden, die Geistesnahrung, welche sie enthalten, herauszuziehen und in mir aufzunehmen. Du hast deine freien Stunden damit vergeudet und deinen letzten Pfennig dafür hergegeben, um reiten, schießen, fechten, ringen, turnen und schwimmen zu lernen; ich aber habe alle meine Muße auf diese Bücher verwendet, und du wirst sehr bald Gelegenheit finden, dich zu überzeugen, daß mir das grad jetzt sehr großen Nutzen bringt. Von allen diesen Übungen habe ich es nur mit dem Schwimmen gehalten, und du wirst dich erinnern, daß ich dir im Tauchen überlegen war.“
    Er ahnte natürlich nicht, daß grad seine Fertigkeit im Tauchen, von welcher Corner auf irgendeine Weise gehört haben mußte, mit zu den Ursachen gehörte, daß man ihn nebst seinem Verwandten nach den Rocky-Mountains geschleppt hatte. Ich hätte ihm dies wohl sagen können, hielt es aber bei seiner Unzuverlässigkeit für besser, darüber zu schweigen. Ich nahm mir überhaupt vor, ihn vollständig in Unkenntnis über die Gefahr zu lassen, welcher er so ahnungslos entgegengegangen war. Warum sollte ich den lieben Kerl beunruhigen, da sie doch, wie ich hoffte, nun vorüber war!
    Die Gefangenen hatten sich still verhalten; aber als wir uns jetzt zum Aufbruche fertig machten und Carpio den Fuchs bestieg, zeigte Corner, daß er nicht mehr bewußtlos war. Er brach in eine Flut von Schimpfworten aus, die wir aber nicht beachteten, und rief uns drohend nach:
    „Wir wünschen euch viel Glück mit Old Jumble, diesem unnützen Fratz. Denkt ja nicht, daß wir euch nicht wiedersehen! Dann aber rechnen wir mit euch ab. Mein Pferd bekomme ich wieder, und wie man hier im Westen Pferdediebe bestraft, dies zu wissen, seid ihr ja zu dumm; ihr werdet es aber erfahren. Aufgeknüpft werdet ihr alle, alle, aufgehängt – – aufgehängt – –!“
    Als wir dem Laufe des Creek eine Viertelstunde lang gefolgt waren, sahen wir den alten Lachner, welcher seitwärts draußen halten geblieben war und beobachtend zurückschaute. Es wäre Winnetou und mir leicht gewesen, ihn in fünf Minuten zwischen uns zu bekommen und für seinen Mordanschlag zu bestrafen; es fiel uns aber gar nicht ein, seinetwegen einen Schritt von unserm Wege abzuweichen. Als er sah, daß wir uns nicht um ihn bekümmerten, ritt er nach der Stelle zurück, wo seine Reisegefährten lagen. Es war ganz natürlich, daß er sie losbinden und uns mit ihnen folgen würde. Daß uns das aber keine besondere Sorge machte, verstand sich auch ganz von selbst.
    Der Medicine-Bow-River blieb auch ferner unser Führer; er sollte es überhaupt bis zu seiner Mündung bleiben, weil man in einem Flußtale trotz der Windungen, welche es macht, doch schneller vorwärts kommt, als wenn man in gerader Linie über steile Berge reiten und durch unwegsame Wälder dringen muß. Leider aber mußten wir sehr bald einsehen, daß wir die Mündung dieses Flusses in den North-Platte nicht bis zum Abend erreichen würden. Der Fuchs machte Carpio zu schaffen, er war zu feurig für ihn; und als wir Rost veranlaßten, seinen Braunen mit ihm zu tauschen, wurde es nicht viel besser. Carpio war ein Hindernis, selbst wenn er auf dem besten Pferde saß.
    Winnetou hatte zu meinem Entschlusse, den so unerwartet hier getroffenen Jugendfreund mit uns zu nehmen, nichts gesagt; wir konnten ja gar nichts anderes tun, wenn er aus der Gefahr, in welcher er sich befand, befreit werden sollte. Das immerwährende Haltenbleiben mußte dem Häuptling aber unbedingt ärgerlich werden, und da er aus Rücksicht auf mich auch dazu schwieg, so konnte ich nicht anders als nun meinerseits das Wort ergreifen, um sein Interesse in der Weise für Carpio zu vertiefen, daß er dessen Fehler mit Großmut übersah, ich erzählte ihm also von unserer Jugendfreundschaft und schilderte den einstigen Genossen mit der innigen Teilnahme, welche ich

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